Wirkung des Hexenglaubens
Aus Sagenhaftes Ruhrgebiet
Vom Schrecken des Hexenglaubens und seinen Folgen berichtet auch Dr. Carl Arnold Kortum (1769):
Ein Vorfall, den ich im vorigen Sommer hatte, bewies mir die Wirkung des Schreckens auf eine sonderbare Art, er war dieser:
Ein Junge von ungefähr 17 Jahren verwaltete bei einem Bauern in dieser Gegend das wichtige Amt eines Kuhhirten; ein Amtsgenosse von ihm hütete ebenfalls nahe bei ihm eine untergebene Herde; beide hatten sich bei herannahendem Abend ihrer Aufgabe entledigt und saßen sorglos beisammen auf einem Hügel; plötzlich kamen zwei muntere Hasen über die Au gehüpft und spielten im Grase; mein Held erblickte sie und lief mit dem Zeichen seines tragenden Amts, der Peitsche, auf dieses Paar Hasen los, sie flohen, der Sieger verfolgte sie hitzig; im Nachjagen aber rief der andere Hüter der Kühe ihm nach: Stehe still, verfolge die Hasen nicht weiter, du wirst unglücklich, einer von ihnen ist eine Hexe, ich weiß es, sie wird dich behexen.
Der Leser muss wissen, dass es in unseren Gegenden eine Sage gibt, dass um Mittag und Mitternacht wie auch in der Dämmerung sich einige Menschen in Tiere verwandeln konnten und wirklich verwandelten, um anderen zu schaden; die Männer, welche dies Kunststück konnten, heißt es, wurden zu Werwölfen und die Weiber zu Hasen; Mütter und Ammen erzählen den Kindern hiervon schreckliche Geschichten und übertragen so das Vorurteil auf alle Nachkommen. So handgreiflich dumm dieser Aberglaube auch ist, so war er doch bei diesem Knaben, der zum Unglück kein Philosoph war, Ursache einer besonderen Krankheit.
Denn gleich von dem Augenblick an, als dieser die schreckliche Warnung hörte, stand er still, sah sich schüchtern um, fiel aber gleich erstarrt zur Erde, nach einer Minute richtete er sich selbst wieder auf, murmelte seinem herbeigelaufenen Amtsbruder einige unverständliche Worte zu und versuchte zurückzulaufen, war aber nicht im Stande, zwei Schritte ohne taumeln, straucheln und fallen zu tun; endlich wurde er mit Hilfe anderer nach Hause gebracht; hier klagte er mit halb verständlichen Worten über Schwindel und Herzensangst, zitterte am ganzen Leibe, wobei sich ohne Nachlass bald die Arme, bald die Beine, bald der Kopf abwechselnd stark schüttelten, er sprach auch immerfort allerhand verworrenes Zeug, bis man ihn zu Bette brachte. Hier schlief er ordentlich, und im Schlaf hörten alle Zufälle auf. Wie er aber des Morgens wieder erwachte, ging die Tragödie von neuem eben wie des vorigen Abends an; ein starker Aderlass am Fuß, der am anderen Tag durchgeführt wurde, half nichts, sondern er blieb in eben demselben Zustand beinahe vier Wochen. Während der Zeit aß der Kranke und trank die ihm vor den Mund gehaltenen Nahrungsmittel ordentlich, alle Ausscheidungen waren da, mit dem Schlaf verloren sich alle Anfälle, und wenn er erwachte, fanden sie sich wieder ein.
Am Ende der vierten Woche wurde mir dieser Kranke in die Kur gegeben, man erzählte mir alles, was geschehen war, ich ließ ihn im Zimmer herumführen, sein Gang war wie der Gang eines betrunkenen Zechers, es bewegten sich seine Glieder beständig, die Augen waren trübe, immer murmelte er verworrene Worte, sein Gedächtnis war noch gut, weil er auf die Fragen, von längst geschehenen Sachen, nach einigem Nachdenken, richtig, aber doch mit gebrochenen Worten, antwortete.
Nach dem achttägigen Gebrauch einiger von mir verordneten Arzneimittel, besonders des Olei animal. dippes. zu acht Tropfen des Abends vorm Einschlafen, wurde er völlig wieder hergestellt, ohne bisher den geringsten Anstoß wieder von dieser Krankheit gehabt zu haben.
Anmerkungen
Aderlass: Öffnung einer Blutader, meist einer Vene, zur Entlastung des Herz-Kreislauf-Systems und zur Entgiftung.
Olei animal. dippes., eigentlich Olei animale aethereum, bezeichnet ein vom Alchimisten Johann Conrad Dippel (1673-1743) zuerst hergestelltes ätherisches Tieröl, dass vormals zur Behandlung von Hysterien und Krämpfen Verwendung fand (Hinweis von Apotheker Heinrich Sondermann).
Literaturnachweis
- Kortum, 1769, 49f.
Weitere Sagen aus Bochum.
Dieser Text wurde folgendem Buch von Dirk Sondermann entnommen:
Verlag Pomp, 2004
ISBN 978-3893550678.
Der Text ist urheberrechtlich geschützt. Nähere Informationen: siehe Impressum.