Wie der Schweinehirte die Steinkohle fand
Aus Sagenhaftes Ruhrgebiet
Vor vielen hundert Jahren, als die Menschen nur mit Holz ihre Feuer brannten, hütete ein armer Hirtenjunge im Muttental bei Bommern seine Schweine. Er trieb sie über die Wiesen, durch den dunklen Wald, und wenn eines sich zu weit entfernte, rief er wohl: »Mutt, Mutt!«, und sorgte dafür, dass es wieder zu den anderen Schweinen zurückkam. An einem feuchten Herbsttag fühlte der Junge, wie die Kälte an seinen Beinen hoch kroch und er beschloss, ein kleines Feuerchen anzuzünden. Neben ihm wühlte gerade eine Mutte zwischen den Wurzeln eines Baumes. Der Junge scheuchte die Sau ein wenig zur Seite, denn er dachte: Hier kann ich wohl meine Feuerstelle machen. Er zündete etwas Reisig und Holz an, wartete, bis die Flämmchen richtig zugepackt hatten und wärmte sich. Dabei behielt er seine Schweine im Auge, damit ihm ja nicht eines entwischte. Als es dämmrig wurde und der Nebel aus dem Tal stieg, wollte sich der Schweinehirte auf den Heimweg machen. Das Feuerchen glühte und flackerte noch immer. Seltsam, dachte der Junge, das Holz müsste längst verbrannt sein. Und weil er glaubte, die feuchte Nacht werde das Feuer schon ersticken, trieb er seine Mutten zusammen und den Hügel hinauf. Als er sich von oben noch einmal umdrehte, sah er seine Glut immer noch leuchten. Wie erschrak der Junge aber am nächsten Morgen, als er mit seinen Tieren aufs Neue über den Abhang kam – immer noch leuchtete die Glut; sogar breiter geworden war der rötliche Fleck auf dem Boden. Der Schweinhirte stockte, dann rannte er hinab, um genauer hinzusehen. Sein Holz war längst verschwunden, aber was da brannte und glühte und immer noch wärmte, das waren die schwarzen glänzenden Erdbrocken, die er schon oft gesehen hatte. Schnell lief er nach Hause zum Vater und der begann die schwarzen Steine auszugraben und heimzutragen. Seit diesem Tag brauchte die Familie nur noch wenig Brennholz zu sammeln, denn die Erdbrocken waren Kohlenstücke und die brannten länger und stärker.
Der Schweinehirte wuchs heran. Bald wollte er sich eine Frau suchen. Da hörte er von einem feinen Burgfräulein, das nur den zum Manne nehmen wollte, der ihr den schönsten Edelstein brächte. Viele junge Männer, Ritter und Königssöhne, legten ihr den funkelndsten Schmuck zu Füßen, Rubine und Diamanten, so schön, dass die Augen schimmerten vom Glanz. Aber immer schüttelte das Burgfräulein traurig den Kopf. Ähnliche Edelsteine hatte sie in ihrer Schatztruhe und keiner brachte ihr, was ihr Herz verlangte. Als der Schweinehirte davon hörte, dachte er bei sich: Ich will es wagen und ihr von den schwarzen Steinen bringen, mit denen wir Feuer machen. Und ich will nicht traurig sein, wenn sie mich wieder wegschickt. Still nahm er sein Holzkästchen, legte drei glänzende Kohlestückchen hinein, und zog zur Burg. Bald ließ ihn das Mädchen eintreten. Es saß am Kamin und das Holz knisterte im Feuer. Neben dem Kamin stand ein Burgherr und schaute gelangweilt auf den neuen Bewerber. Als der Schweinehirte nun sein Kästchen öffnete und die Stücke vorzeigte, da staunten das Mädchen und der Vater sehr. Sie wussten nicht: Sollte das ein Scherz sein oder eine Unverschämtheit? Zuletzt lachten sie und fragten: »Was soll das bloß sein?« Da nahm der junge Mann die drei Kohlestücke und legte sie ins Feuer. Die Flammen züngelten daran hoch und bald glühten die Steine heller als jeder Rubin, leuchteten stärker als jeder Diamant und geben noch Wärme dazu. Ganz entzückt fasste das Mädchen nach den Händen des Hirten und sagte: »Das sind wirklich die schönsten Diamanten, die mir je vor die Augen gekommen sind.« Der Vater konnte nichts anderes sagen. Er nickte nur voller Erstaunen und freute sich über die seltsame Glut. Bald wurde die Hochzeit prächtig gefeiert. Seit der Zeit suchen und schürfen die Menschen nach Steinkohle und bis auf den heutigen Tag dringen die Menschen tief in die Erde, um die schwarzen Diamanten ans Tageslicht zu holen. Eines Tages ging die Botschaft durch das Land, dass die wunderschöne Königstochter den Mann zum Bräutigam nehmen wolle, der ihr die schönsten Edelsteine bringe. Davon hörte auch der Schweinehirt und beschloss, das Herz der Schönen für sich zu gewinnen. Er füllte einige Kohlestücke in einen Beutel und machte sich auf den langen Weg zum prächtigen Königsschloss. Nach tagelanger Wanderung erreichte der Hirte endlich sein Ziel und begehrte bei den Palastwachen Einlass. Auf die Frage, was er wolle, antwortete er nur: »Die Hand der Königstochter!« Die Wachen lachten ihn aus, sie schlugen sich auf die Schenkel und zeigten mit den Fingern auf den in schmutziger und zerrissener Kleidung vor ihnen stehenden Schweinehirten. Um noch mehr Anlass zur Belustigung zu erhalten, ließen die Wachen den Hirten zum Schloss hinein.
Er ging auch gleich in den prächtigen Thronsaal und sah, dass schon viele Grafen, Herzöge und junge Prinzen in schmuckvollster Kleidung und mit den kostbarsten Edelsteinen in der Hand in einer langen Reihe darauf warteten, einer nach dem anderen seine Gaben vor der schönen Prinzessin ausbreiten zu können. Endlich kam auch der junge Schweinehirt an die Reihe und stand nun schmutzig und zerlumpt mit seinen schwarzen Kohlen in der Hand vor der Prinzessin. Bei diesem Anblick schrie sie laut auf und sagte: »Was willst du denn hier, du hast dich wohl verirrt, nach Edelsteinen steht mir der Sinn!« »Warte einmal ab!«, sagte der Hirt und legte die schwarzen Steine ins Feuer, wo sie bald in den herrlichsten Farben, in Rot, Gelb, Blau und Orange aufleuchteten und eine angenehme Wärme verbreiteten. Die Prinzessin schaute diesem Schauspiel erstaunt zu, denn so etwas Wunderbares hatte sie noch nie gesehen.
»Diese schwarzen Diamanten sind wirklich die allerschönsten Edelsteine!«, sagte die Königstochter. Einige Wochen später heirateten Prinzessin und Schweinehirt. Ein großes Fest wurde gefeiert, und beide lebten lange Jahre glücklich und zufrieden.(Schmidt)
Anmerkungen
Wer als erster die Kohle in der Erde entdeckte und wo das geschah, dass weiß niemand ganz sicher. Weil aber noch heute im Muttental (Muttentalstr.) bei Witten-Bommern stellenweise die Kohleschichten bis an die Erdoberfläche treten, kann man annehmen, dass hier wie in anderen Bergbaugebieten – recht früh zufällig jemand diesen kostbaren Brennstoff fand. Schon vor etwa 1000 Jahren wurde an der Ruhr nach Steinkohle gegraben. Die Menschen schätzten den Wert der Kohle sehr hoch ein. Sogar eine Hochzeit zwischen einer Prinzessin und einem Hirtenjungen wurde für sie vorstellbar. Diese Geschichte wurde später hinzugedichtet. Die Stadt Witten hat im Muttental einen Bergbaulehrpfad geschaffen, den Bergbauwanderweg Muttental. Beim Spazierengehen kann man hier sehr viel aus der Geschichte des Kohleabbaus sehen und erfahren. Bei diesem Rundgang kann man auch die Ruine Hardenstein am Hardensteiner Weg besuchen. (Schmidt)
Zeche Nachtigall (WGS 84: 51° 25' 44" 7° 18' 48")
Literaturnachweis
- Renate Schmidt-V., Gustav-Adolf Schmidt, Sagen und Geschichten aus dem Ennepe-Ruhr-Kreis, 2. Aufl. Schwelm 2001, S. 32-35
- Sondermann, Dirk, Bochumer Sagenbuch, 4. Aufl. Essen 2004, S. 196 f.
Diese Sage folgt der Themenroute 22 – Mythos Ruhrgebiet der Route der Industriekultur des Regionalverbandes Ruhr.
Der RVR bietet zum Thema »Zeche Nachtigal« folgende Informationen.
Hier finden Sie: Zeche Nachtigall (51.428889° Breite, 7.313333° Länge)
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