Werwölfe im Bochumer Osten

Aus Sagenhaftes Ruhrgebiet

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Darstellung eines Werwolfs von 1722

Der Glauben, dass sich Menschen in Tiere verwandeln können, ist so alt wie die Menschheitsgeschichte selbst. Noch heute ist diese Vorstellung in so genannten »primitiven Kulturen« Afrikas und der Neuen Welt verbreitet. Werwölfe sind sowohl in germanisch-skandinavischen als auch in asiatischen Kulturen bezeugt. Das Wort »Werwolf« leitet sich von althochdeutsch: wer = Mann, also Mannwolf ab. Zu kultischen oder kriegerischen Handlungen bekleidete man sich mit Tierfellen, um sich das Wesen des Tieres, seinen Mut und seine Kraft, zu eigen zu machen. Durch Rauschmittel oder hypnotische Einflüsse wurde dieser Verwandlungsglaube noch verstärkt. Die nordischen »Berserker" gehen ebenfalls auf diese Verwandlungsvorstellung zurück. Sie waren in Bärenfelle gekleidete Krieger (ber: Bär, sekr: Gewand). Später wurde angenommen, schon ein Teil des Felles könne eine Verwandlung bewirken, so dass man sich nicht mehr vollständig mit Tierfellen bekleidete, sondern nur einen (Wolfs-)riemen umlegte. Literarisch belegt begegnen uns Werwölfe auf deutschem Boden erstmals in der Wölsungensage um das Jahr 1260.

Zur Mitte des letzten Jahrhunderts kannten die Bochumer noch viele Sagen. Vor allem in Harpen soll es in allen Ecken und Winkeln gespukt haben. Man erzählte sich vom Mann mit dem Kopf unter dem Arm, von Menschen, die sich in Tiere verwandeln konnten, und von Hexenplätzen. Am meisten aber sprachen die Harpener vom Werwolf, den sie auch Klüngelpelz nannten:

Eines Abends machte der Berginvalide B. mit dem alten Dirkhinnerk Sch. einen Kontrollgang, um Felddiebstähle zu verhindern. Ihr Weg führte sie auch ins Harpener Bockholt. Nachdem sie eine kurze Wegstrecke zurückgelegt hatten, sprang plötzlich ein Werwolf vom Baum herunter, dem alten Bergmann direkt in den Nacken. Voller Entsetzen schrie er: »Dirkhinnerk, schlag ihn – schlag ihn!« Der Mann schlug zu, aber er traf den Werwolf nicht, denn dessen geheime Zauberkräfte schützten ihn. Immer wieder und wieder versuchte er, der Gestalt zu Leibe zu rücken, doch – auf einmal war der Werwolf verschwunden und ließ sich nicht mehr blicken.

Dem Bergmann Diedrich Sch. erging es um 1850 nicht viel besser. Nach Schichtende auf der Zeche »Präsident« ging er heimwärts nach Harpen. Als er in die Ladbecke kam, stand mit einmal ein Wesen in Wolfshundgestalt vor ihm, das Anstalten machte, ihm auf den Rücken zu springen. Der Bergmann blieb wie angewurzelt stehen. Was sollte er nun tun? Plötzlich fiel ihm ein, dass ein gewisser Janhinnerk im Ruf stand, ein Werwolf zu sein. Sagte man nicht, die geheime Kraft eines Werwolfes weiche, wenn er mit Namen angerufen würde! Also schrie er aus Leibeskräften: »Janhinnerk, Janhinnerk, bliv mi van de Hut!« (Janhinnerk, bleibt mir von der Haut!) – Vergebens, der Zauber war nicht gebrochen, denn sogleich sprang das Unwesen auf ihn zu. Der Bergmann versuchte sich, so gut es ging, mit seinem Krückstock zu wehren, doch schon brach der Prügel laut krachend entzwei. Jetzt blieb nur noch die Grubenlampe. Wieder und wieder schlug er mit ihr auf den Werwolf ein. Da – ein harter Widerstand, die Lampe traf den ledernen Gürtel, den das Untier um den Leib trug. Der Werwolfsgürtel sprang auf und verlor damit seine Zauberkraft – der Spuk war vorbei. Vor dem erstaunten Bergmann stand nun tatsächlich Janhinnerk, er war entlarvt. Der Bergmann hatte ihm jedoch so schwere Wunden zugefügt, dass Janhinnerk eine Zeit lang im Krankenhaus liegen musste und später zu Hause infolge der Verletzungen gestorben ist.

Überall in Harpen sollen Werwölfe ihren Spuk getrieben haben. In der Nähe der St. Vinzentius-Kirche saß der Werwolf abends am Steg, der über den Bach führte; am Hexenplätzchen an der Wiescherstraße}} sprang um 1850 ein Werwolf jemandem auf die Schultern und ließ sich tragen, bis dem Opfer der Schweiß herniederrann; auch auf dem alten Kirchhof der Vinzentius-Kirche und in der Grumme (wohl In der Grume}}) wurden Werwölfe gesehen.

Manchen Leuten in Werne erging es nicht besser als den Harpenern: In Werne, an der Grenze zu Harpen wohnte der alte B. Eines Tages ging er, wie er es hin und wieder zu tun pflegte, nach Lütgendortmund, um Besorgungen zu machen. Nachdem er alles erledigt hatte, trat er den Rückweg an. Wie gewöhnlich führte ihn sein Weg den Werner Hellweg entlang. Von fern schon sah er die große Eiche, die jene Stelle markierte, die damals Auf dem Gericht genannt wurde. Gerade hatte er die Eiche erreicht, als ihm unversehens ein Werwolf auf den Rücken sprang. Der alte Mann versuchte, das Untier los zu werden. So fest er konnte, prügelte er auf den Werwolf ein – aber umsonst. Er musste ihn bis zu der Stelle tragen, wo später die Zeche »Heinrich Gustav« gebaut wurde. Dort angelangt – der alte B. war schon durch und durch geschwitzt – entließ der Aufhocker endlich sein Opfer.

Jemand, der sich mit Werwölfen auszukennen meinte, riet dem Alten, er solle, falls ihm solches noch einmal widerfahre, versuchen, den Werwolf mit einem Messer zu verletzen, so dass er blute, denn Blut soll den Werwolfszauber lösen.

Einen der Werwölfe in Werne kannte man sogar mit Namen: Zigarrenwilm; auch ihm wurde die Fähigkeit nachgesagt, in Tiergestalt erscheinen zu können.

In Hiltrop legte sich ein Knecht jeden Abend an einen anderen Ort des Hofes schlafen, denn der Werwolf sollte ihn nicht finden.

Den Gerthern ließ der Werwolf, den sie Haikäl nannten, ebenfalls keine Ruhe; nahe eines sumpfigen Geländes, »In den Paschen« genannt, trieb er sich zur Geisterstunde, zwischen elf und zwölf Uhr nachts herum. Auch bei Schuth und auf dem Weg von Schulte-Mausbach nach Wilhelms wurde wiederholt solch ein Untier gesichtet. Und in (Bochum-) Bergen? Auch dort trieb sich ein Werwolf herum:

Damals, so um das Jahr 1850, bestellte ein Leineweber aus Bergen den Schneider K. zum Nähen ins Haus. Abends klopfte der Knecht von Schulte-Bergen an der Tür und brachte Garn, das der Leineweber weben sollte. Nachdem der Auftrag besprochen war, verabschiedete sich der Knecht, um den Heimweg anzutreten. »Warte auf mich!«, rief der Schneider, »ich komme mit!« »Nee«, erwiderte der Knecht, »ich habe keine Zeit, ich muss nach Hause und die Pferde füttern!«, und ging. Kaum war der Knecht fort, eilte ihm der Schneider hinterher, sprang ihm als Werwolf auf den Rücken und krallte sich mit den Klauen dort fest. Bis an des Schneiders Haustür musste der Knecht ihn nun schleppen, erst dort sprang der Werwolf wieder von seinem Rücken herunter, verwandelte sich in den Schneider zurück und meinte: »So, nun sind wir hier; warum hast du nicht auf mich gewartet?«

Einige der im Text angeführten Straßennamen finden wir auch heute noch im Bochumer Stadtplan:

Die Wiescherstraße liegt in Hiltrop. Das Hexenplätzchen lag Im Brennholt (Hinweis von Dr.H.Oberhöffken). Der Werner Hellweg und Auf dem Gericht sind in Werne gelegene Straßen. Die St. Vinzentius-Kirche steht am Vinzentiusweg 13, das Harpener Bockholt befindet sich am Steffenhorst, Zeche »Präsident« (*1855; †1944) lag an der Seilfahrt in Hamme und an die Zeche »Heinrich Gustav« (*1855; †1968) erinnert noch heute die gleichnamige Straße in Werne. Im Jahre 1929 wurde die Zeche »Heinrich Gustav« zur Großschachtanlage »Robert Müser« vereinigt, deren 1928 erbauter Förderturm noch heute an der Heinrich-Gustav-Straße steht. Die Zeche erhielt ihren Namen zu Ehren des 1927 verstorbenen gleichnamigen Generaldirektors der Harpener Bergbau AG. Hof Schuth liegt an der Gerther Str. 99. Hof Schulte-Mausbach, richtig Schulte Mausbeck, liegt am Kornweg 36 und ist heute als Restaurant und Biergarten »Landhaus Mausbeck« bekannt. Hof Wilhelms, 1958/59 abgerissen, lag auf der Wiese hinter dem Gartenzaun der Häuser Kornweg 4-8 (Hinweis von Frau Schuth).

Herr Brakelmann, Querenburg, Auf dem Aspei 47, teilte mir am 18. September 1995 folgende Sage mit:

Früher wurde erzählt: »Wenn uns ein Werwolf auf den Rücken springt, müssen wir ihn bis zur nächsten Kreuzung schleppen, dann springt er ab. Als Kind habe ich immer gesehen, wo die nächste Kreuzung war, damit ich wusste, wie weit ich einen Werwolf im Ernstfall schleppen musste.« 

Vinzentius-Kirche (WGS 84: 51.498739° 7.284805°)

Literaturnachweis

  • Kleff,Bd.2, 1926, 116-118 (Sage von Karl Leich); Hermann, 161


Hier finden Sie: Vinzentius-Kirche (51.498739° Breite, 7.284805° Länge)

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Dieser Text wurde folgendem Buch von Dirk Sondermann entnommen:

Bochumer Sagenbuch.
Verlag Pomp, 2004
ISBN 978-3893550678.




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