Vom Werwolf in Hörde

Aus Sagenhaftes Ruhrgebiet

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Der Werwolf - Flugblatt von 1685

Noch vor gut hundert Jahren ging die Sage, es gäbe in Hörde Werwölfe. Sie sollen die Gestalt großer Hunde gehabt haben, mit glühenden Augen im Kopf und langen Krallen an den Pfoten. Besonders die Düstere Gasse, die heutige Nagelschmiedegasse, war dafür verrufen, daß sich dort die Untiere gern herumtreiben sollten. Man erzählte, daß ein Werwolf in der Dunkelheit einem ahnungslos dahergehenden Menschen auf den Rücken springt und sich an seiner Kehle festkrallt. Je mehr sich der Überfallene wehrt und versucht, das Untier abzuschütteln, um so mehr wird er vom Werwolf gequält, so lange, bis das teuflische Biest genug hat und verschwindet.

Wenn man in der Nachbarschaft von einem Überfall des Werwolfs erfahren hatte, so konnte es geschehen, daß der Betroffene nicht immer nur bedauert wurde. Womöglich kam er sogar ins Gerede, ob das Geschehnis nicht die Strafe für irgendeine Schlechtigkeit war. Manche, die nachts vom Werwolf angefallen worden waren, hüteten sich aber auch, davon zu erzählen, einmal aus Angst, daß ihnen das Unheil noch einmal begegnen könnte, zum andern aus Scham, denn wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Welches Unglück aber das Erzählen vom Werwolf bei sensiblen Menschen anrichten kann, das berichtet folgende Geschichte:

Der junge Fritz Sindern hatte Hufnägel, die sein Vater und er daheim geschmiedet hatten, nach Berghofen gebracht. Den leeren Korb geschultert, die Hände in den Hosentaschen vergraben, wanderte er munter wieder nach Hause. Als er durchs Bickefeld kam, begann es zu dämmern, von der Emscher und vom Hörder Bach stiegen dichte Nebel auf. Ein Kolkrabe flog über ihn hinweg dem Geenseel zu. Fritz sah ihm nach. Das wird doch wohl keine Vorbedeutung haben, dachte er, und er beschleunigte seine Schritte. Fehlte mir nur noch der Werwolf bei diesem Nebel. Ob ich nicht besser zum Benninghofer Weg gehen soll? Aber dann müßte ich durchs Grimmelsiepen, und da ist es nicht geheuer.

Plötzlich hörte er von weitem Hundegebell. Wieder kroch die Angst vor dem Werwolf in dem jungen hoch. Da, die drei Pappeln am Geenseel ! Ob das Untier ihm dort vielleicht auflauerte? Keuchend begann er zu rennen. Er hörte nicht das Ave-Läuten vom Turm der Stiftskirche. Er rannte und rannte, daß er meinte, die Brust müsse ihm zerspringen. Schnell durch den Stiftskamp, über den Stiftsbauernhof, auf die Tenne und in die Küche ans Herdfeuer! Die Hofleute schrien auf. Der Schultenbauer sah den leichenblassen jungen Nagelschmied verwundert an. Der konnte nur noch hauchen: »Werwolf !» Dann sank er nieder. Die Angst hatte ihn getötet.

Am andern Morgen saß vor dem Hoftor Sinderns treuer Hund und wartete noch immer auf seinen jungen Herrn.

Eine andere Geschichte vom Werwolf soll sich vor Zeiten auf dem Schultenhof des Stiftes Clarenberg ereignet haben: Eines Morgens schickte der Stiftsschulte zwei Knechte in die Emscherwiesen, wo sie Gras mähen sollten. Als es bald sehr warm wurde, legten sich beide ans Flußufer unter einen Baum, um ein wenig zu schlafen.

Nach einiger Zeit erhob sich der eine leise von seinem Platz. Er glaubte, der andere Knecht schliefe fest. Er umgürtete sich mit einem ledernen Riemen und verwandelte sich so in einen Werwolf. Einen Steinwurf weit schlich er am Fluß entlang, wo einige Schafe weideten und verschlang eins der Tiere. Darauf verwandelte er sich wieder in Menschengestalt, legte sich wieder leise neben seinen Kumpan und schnarchte bald kräftig vor sich hin. Der andere Knecht aber hatte alles mit halboffenen Augen gesehen und nur aus Angst so getan, als ob er schliefe. Inzwischen war es Mittag geworden, und ihm knurrte schon der Magen. Er weckte den immer noch schnarchenden Werwolf. Beide gingen zurück auf den Hof und setzten sich zum andern Gesinde an den großen Eßtisch. Dem Wolf aber schmeckte das Essen überhaupt nicht, und er klagte über Leibschmerzen. Der andere Knecht dagegen langte kräftig zu, als ob er drei Tage gehungert hätte. Da stichelte ihn der Werwolf, nannte ihn Nimmersatt und Vielfraß und Dickwanst.

Darüber ärgerte sich der Knecht so sehr, daß er ihn wütend anfuhr: »Wenn ich wie du ein ganzes Schaf im Bauch hätte, dann wär ich auch knüppelsatt!« 

Da war der Werwolf verraten. Er sprang mit einem Satz durchs Fenster und rannte davon. Man hat ihn nie wieder gesehen.

Anmerkungen

Berghofen ist ein Stadtteil von Dortmund. Das Bickefeld lag an der Bickefeldstr. Der Hörder Bach fließt östlich von Am Grimmelsiepen, unweit von Am Geenseel. Die Emscher, jahrzehnte verrohrt, wird zur Zeit in Hörde renaturiert und fließt offen in der südlichen Verlängerung vom Himpendahlweg. Benninghofer Weg bezeichnet die jetzige Benninghoferstr. Der Schultenhof des Stifts Clarenberg (Stiftsbauernhof) lag an der Wiggerstr. 9. Das Stiftskamp lag an der gleichnamigen Straße. Das Ave-Läuten in der katholischen Kirche erfolgt um 6, 12 und 18. 00 Uhr. Hierbei werden die Gläubigen zum Ave-Gebet aufgerufen: »Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit dir... » (``Ave Maria, gratia plena; Dominus tecum;…») Zur Stiftskirche siehe die Anmerkung zu Sage 120.

Nagelschmiedegasse, Dortmund (WGS 84: 51.491012° 7.502377°)

Stift Clarenberg (WGS 84: 51.488933° 7.503833°)


Literaturnachweis

  • Gronemann, 134-136


Hier finden Sie: Nagelschmiedegasse, Dortmund (51.491012° Breite, 7.502377° Länge)

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Dieser Text wurde folgendem Buch von Dirk Sondermann entnommen:

Emschersagen. Von der Mündung bis zur Quelle.
Bottrop: Henselowsky Boschmann Verlag, 2006
ISBN 3-922750-66-4.




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