Sagenhaftes Radfahren im Ruhrtal - Familientour Witten-Wetter-Herdecke

Aus Sagenhaftes Ruhrgebiet

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Beschrieben von Martin Velling (Wanderrouten), Dirk Sondermann (Sagen).

Eine familienfreundliche Radeltour führt zu sagenhaften Stellen im Ruhrtal zwischen Witten und Herdecke. Dank ausschließlich ebener Ufer- und Auenwege und geringer Länge schafft auch der junge Nachwuchs die Strecke, die sich zudem beliebig kürzen lässt, indem man einfach an passender Stelle umkehrt. Auch mit der historischen Ruhrtalbahn lässt sich die Tour gut kombinieren.

Informationen

Start und Ziel: Witten Stadtmitte, Hauptbahnhof

Parkmöglichkeit: Umgebungsbereich Witten Hbf; Parkhaus Saalbau

ÖPNV-Anbindung: Bahnhof „Witten Hbf“ - S5, RE4, RE16, RB 40 --- Bus-Haltestelle „Witten Hbf“ - Buslinien SB38, 320, 375, 592 --- Kombinationsmöglichkeit mit den Oldtimerzügen BO-Dahlhausen-Hattingen-Hagen (Haltepunkte Witten-Bommern und Wengern Ost; http://www.eisenbahnmuseum-bochum.de)

Länge: ca. 30 km (bei Abbruch und Umkehr beliebig kürzbar) --- die Streckenlänge hängt davon ab, wie ausgiebig Ortskerne und ausgedehntere Sagenorte besucht werden

Gelände: ausschließlich flach (ein kurzer Anstieg zur Altstadt Wetter kann ausgelassen oder zu Fuß (5 Min.) bewältigt werden), viele ausschließlich für Radler und Fußgänger reservierte Uferwege

Sehenswertes: Haus Witten, alter Ortskern Wengern, Freiheit und Burg Wetter, Harkortsee mit Panorama Ardeygebirge, Altstadt Herdecke

Radtour

Wir starten am Wittener Bahnhofsvorplatz und fahren nach rechts (mit dem Bahnhof im Rücken) auf der Bergerstraße bis zur Kreuzung mit der Ruhrstraße, dort rechts (Vorsicht: verstärkter Stadtverkehr) an Villen vorbei zum Haus Berge zu Witten (auch kurz ‘Haus Witten’ genannt), das rechts an der Ruhrstraße kurz vor der Eisenbahnbrücke liegt.

Sage:

Haus Berge (Haus Witten)

»Von Volmarstein aus weiter hinab zeigt uns die Ruhr eine Reihe wenig wechselnder, aber heiterster und anziehenster Landschaftsbilder. ... An Hove vorbei strömt sie nach Witten, das hart am rechten Ufer liegt, einst eine Burg und Freiheit derer von Witten ...« 

(Das malerische und romantische Westfalen, S.325)


Der Hexenmeister Bottermann

Richter: Ist es nicht wahr, und muß er nicht bekennen, daß er ein Zauberer ist, sich von Gott abgewendet und dem Teufel zugesagt hat? Wer hat ihn die Zauberkunst gelehrt, und wie lange hat er sie gebraucht?

Bottermann: Er wüßte nicht, daß er die Zauberkunst könne.

Richter: Hat er nicht dem schwarzbraunen Pferd der Frau von Witten ins Maul gesehen, und war es danach nicht krank und starb, als man es vor den Pflug spannen wollte?

Bottermann: Er sei daran unschuldig, und dem Pferd ins Maul gesehen zu haben, wisse er sich nicht zu erinnern.

Richter: Hat er nicht selbiges Pferd bezaubert, und was hat er dazu gebraucht?

Bottermann: Er habe nichts dazu gebraucht, habe es auch nicht bezaubert.

Liebe Leserinnen und Leser, diese Zitate stammen nicht aus älteren Schauergeschichten oder einem der Romane über das Mittelalter á la Umberto Eco; es sind Zitate aus Vernehmungsprotokollen des Gerichts von Witten vom 4. Oktober 1647. Der Hexenaberglaube erlebte gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges (1618–48) keinesfalls nur in Witten eine traurige Blüte. In vielen deutschen Staaten brannten die Scheiterhaufen. Vor den Toren Braunschweigs sollen die Brandpfähle dicht wie ein Wald gestanden haben. Der im Vernehmungsprotokoll Beschuldigte namens Arndt Bottermann und mindestens dreizehn weitere Personen fielen allein 1647 in Witten dem Hexenaberglauben zum Opfer. Arndt Bottermann war dem Besitzer des Rittersitzes Haus Berge, später Haus Witten genannt, dienstverpflichtet und hatte Frondienste zu leisten. Eines Morgens sollte er Korn holen. Zu diesem Zweck mußte er ein Pferd ausspannen, das zuvor einen Wagen der Frau von Witten, Anna Johanna von der Reck, gezogen hatte. Einem anderen Pferd soll er das Maul geöffnet haben, vielleicht um das Gebiß zu untersuchen. Anschließend wurde dieses Roß in den Stall geführt. Als es später vor einen Pflug gespannt werden sollte, war es krank, mit Ungeziefer bedeckt und verendete bald darauf. Die Frau von Witten gab Bottermann die Schuld an dem rätselhaften Tod des Tieres. Kurz nach diesem Ereignis soll er das Pferd einer Marktfrau verhext haben, so dass auch dies bald darauf starb. Von nun an hielt man Bottermann für einen Zauberer. Das Dorf ächtete ihn, und die Jugend wies mit Fingern auf den alten Mann. Die Anschuldigungen der Ortsbewohner kränkten ihn sehr. Weil er nicht länger als Ausgestoßener dastehen wollte, bat er den Richter Übelgünn seine Unschuld durch ein Gottesurteil, und zwar durch die Wasserprobe, beweisen zu dürfen. Zitat Bottermann: »Da ich mich vor Gott und der ganzen Welt solch gottloser Zauberkunst unschuldig weiß, ... und mir die üblen Nachreden und Verleumdungen stark zu Herzen genommen habe, bitte ich um die Wasserprobe«. Nach zweimaligem Gesuch wurde seiner Eingabe am 30. September 1647 stattgegeben. Der Richter bestimmte, dass die Wasserprobe am folgenden Donnerstag, dem 3. Oktober, um 9 Uhr morgens stattfinden sollte. Ort des Geschehens sollte der sogenannte »Hexenkolk« sein (dort gelegen, wo heute die Eisenbahnbrücke über die *Wetter Straße führt). Nachdem Bottermanns Hände an seinen Füßen festgebunden worden waren, warf der Scharfrichter ihn ins Wasser, wartete einige Zeit und zog ihn dann mittels eines Seils wieder aus dem Kolk heraus. Diese Prozedur wiederholte sich dreimal, und jedesmal versank der Angeklagte nicht im Wasser, sondern trieb auf der Oberfläche, was einem Schuldbeweis gleichkam. Er wurde in den Kerker geworfen und wohl auch zur Tortur verurteilt. Nachdem Bottermann auch auf der Folterbank kein Geständnis abgelegt hatte, suchten die Pastoren Steller aus Witten und Wiesmann aus Ümmingen den Beschuldigten auf, um ihn zu einem Schuldbekenntnis zu bringen. Sie redeten so lange auf ihn ein, bis er schließlich gestand, er habe Verbindung mit dem Teufel gehabt und dieser habe ihn dazu verleitet, die Wasserprobe zu verlangen. Der Teufel sei sogar persönlich bei dem Gottesurteil am Hexenkolk zugegen gewesen, habe ihm aber nicht beigestanden. Er erklärte, er sei ein Zauberer, habe mit seiner Kunst aber niemandem etwas Böses zugefügt. Was Arndt Bottermann bewogen hat, diese absurden Schuldbekenntnisse abzulegen, ist nicht bekannt. Vielleicht hatten Kerkerhaft und Folter ihn so sehr zermürbt, dass er des Lebens müde war. Möglich ist auch, dass der Hexenwahn der Zeit ihn so gefangen hielt, dass er schließlich selber an die Schuld glaubte, die die Geistlichen ihm einzureden versuchten. Arndt Bottermann wurde an der Grenze zwischen Witten und Langendreer am Galgeneck (unweit der Rheinischen Straße in Witten) gehenkt, sein Leichnam wurde auf dem Hexenring (in der Nähe des heutigen Friedhofs an der *Pferdebachstraße) verbrannt.

Soweit die offizielle Geschichtsschreibung. Bei der Bevölkerung dieser Region erregte der Scheiterhaufen in Witten großes Aufsehen. Das Volk hatte damals natürlich keine Einsicht in Gerichtsprotokolle, abgesehen davon, dass das Gros der meist bäuerlichen Bevölkerung weder lesen noch schreiben konnte. Doch auch nach 200 Jahren waren die Wittener Vorfälle noch erzählenswert. In dieser Zeit wurde das Geschehen von Mund zu Mund weitergegeben, von Generation zu Generation weitergesagt. Die historische Begebenheit wurde vom Volk zu deuten versucht (Warum half der Teufel nicht bei der Wasserprobe?) und weitererzählt. Aberglaube, Überlieferung und Erfahrung der Erzählenden haben das Gesagte, die Sage, im Laufe der Jahrzehnte inhaltlich verändert. Die Sage wurde beim Weitererzählen immer stärker an bereits bekannte, ähnliche Sagen angeglichen und somit in ihrer historischen Substanz gemindert. Doch lesen Sie selbst: Der »Fall Bottermann«, wie man ihn sich hundertachtzig Jahre später (im Jahre 1823) erzählte:

Einer der bekanntesten Hexenmeister in Witten war Bottermann. Einst fuhr er von Witten über Höntrop nach Steele bei Essen und ließ dort seinen mit einem großen Faß Wein beladenen Wagen von sieben schwarzen Katzen den Steeler Berg hinaufziehen. Daraufhin wurde er der Zauberei beschuldigt und der Wasserprobe unterzogen, die er jedoch nicht bestand, weil der Teufel, mit dem er ein Bündnis geschlossen hatte, ihm einen Schelmenstreich spielte und ihm nicht, wie versprochen, eine unsichtbare Stange Eisen, sondern eine Nähnadel auf den Rücken legte. Er erlebte einmal im Leben einen warmen Tag, wie er es selbst bezeichnete: das war der Tag, an welchem er lebendig verbrannt werden sollte. Wenn man den »Justizfall Bottermann« mit der Volkssage vom »Hexenmeister Bottermann« vergleicht, ist zu erkennen, dass die Sage einen klar hervortretenden Kern geschichtlicher Fakten aufweist. Ein historischer Kern lässt sich durchaus auch in anderen Sagen wiederfinden, so dass man viele Sagen als Geschichtsüberlieferungen des Volkes ernst nehmen kann.

Anmerkungen:

Haus Witten an der Ruhrstr. 86 gelegen, wurde 1470 von Rötger von Witten erbaut. Im Zweiten Weltkrieg zerstört, beherbergt das mit modernen Elementen wiederaufgebaute Anwesen heute Teile der Volkshochschule sowie eine Gaststätte.

Literaturangaben: Dirk Sondermann, Ruhrsagen, Bottrop, 3. Aufl. 2010, S. 169-172

Radtour

Wir fahren auf der Ruhrstraße weiter und überqueren die Ruhr. Drüben fahren wir in einer starken Linkskurve in den Stadtteil Bommern hinein und halten uns an der nächsten Kreuzung links, wo wir den Radfahrschildern Richtung Wetter/Hagen folgen; auch der Ruhrtalradweg mit seinem bunten Logo führt hier nach links ruhraufwärts Richtung Hagen-Arnsberg-Winterberg. Der als Rad-/Fußweg ausgebaute Ufer- und Auenweg führt uns bald darauf autofrei bis zum Ziel Herdecke Mitte, zunächst am Oldtimerzug-Haltepunkt „Witten-Bommern“ vorbei und dann zum hübschen Dorf Wengern (Abstecher ca. 500 m, Schilder beachten). Wer Lust hat, verlässt den Radweg und sieht sich im Dorfkern mit seinen schönen Fachwerkhäusern, durchflossen vom Elbschebach, ein wenig um.


Zurück am Ruhruferradweg fahren wir weiter, nicht ohne einen Blick hinüber auf die andere Uferseite zu werfen: wir sehen die bewaldeten Höhen des Ardeygebirges. Türme und Gebäude eines Schlosses ragen aus den Bäumen hervor; es handelt sich um Haus Mallinckrodt.


Stets dem Ruhrtalradweg folgend gelangen wir bei Oberwengern zur Brücke über die Ruhr, die uns hinüber nach Wetter Stadtmitte führt; die Silhouette wird zum einen durch große Industrieanlagen geprägt, die auf den Industriepionier Friedrich Harkort zurückgehen, der im frühen 19. Jahrhundert auf der Burg Wetter eine Maschinenfabrik errichtete und vehement für die Errichtung von Eisenbahnen eintrat, um Rohstoffe und Erzeugnisse schnell zu den Fabriken und den Kunden bringen zu können, keineswegs eine Selbstverständlichkeit; damals dominierten noch der Schiffsverkehr auf der Ruhr und das Tragen von Lasten durch Mensch und Maultier über die Berge. Zum anderen fällt der Blick auf mächtige Kirchen und das im Hintergrund liegende Ardeygebirge. Den Besuch von Wetter heben wir uns für die Rückfahrt auf und radeln nach rechts am Ruhrnebenarm ‘Obergraben’ entlang zum Harkortsee.

In den 1920er-Jahren wurden acht Ruhrstauseen geplant, u.a. um den Schlamm, den die schnellfließende Ruhr aus dem Sauerland mitbrachte, zum Absinken zu bringen, da er das Rheinbett ab Duisburg zu verschlammen drohte, was ein Aus für die Schifffahrt nach Holland bzw. ein teures Ausbaggern bedeutet hätte. Weitere Effekte waren Hochwasserregulierung, Stromgewinnung, Erholungsfunktionen, Wassersport, Regulierung des Kleinklimas und Zuflucht für Wassertiere. Als erstes wurden zwischen 1925 und 1933 der Hengsteysee (Herdecke/Dortmund/Hagen), der Harkortsee (Wetter/Hagen) und als größter Ruhrstausee der Baldeneysee (Essen) realisiert. Es folgten 1949 der Kettwiger See (Essen) und 1980 der Kemnader See (Bochum/Witten/Hattingen). Ebenfalls einst geplant, aber bis heute nicht verwirklicht sind der Kahlenbergsee (Mülheim), der Hattinger See am Isenberg (Hattingen) und der Hohensteinsee (Witten).

Der Blick fällt auf die Höhen des Ardeygebirges und die hochgelegene Altstadt von Wetter, die ‘Freiheit’, sowie gegenüber auf Hagener Seite auf den bewaldeten Kaisberg mit dem Stein-Turm. Am Seeufer fahren wir weiter und gelangen am Kraftwerk Cuno mit seinem markanten weißen Schornstein vorbei zum schönen Eisenbahnviadukt Herdecke. Nun geht es noch etwa 800 m weiter an der Ruhr entlang bis zur nächsten Brücke. Vor dieser führt uns der Weg wenige Meter links hoch zur Herdecker Stadtmitte. Das Rad schiebend erkunden wir zu Fuß die Altstadt mit ihren Fachwerkhäusern (vor allem jenseits der Hauptstraße rund um Kirche, Rathaus und Bachplatz).


Sagen

Die Gründung des Klosters Herdecke

»Herdecke selbst, ein ziemlich düster aussehender Ort, besitzt ein altes hochliegendes Stift ...« 

(Das malerische und romantische Westfalen,319)

Viele behaupten zwar, der Name Herdecke komme von der altdeutschen Göttin Herta her und bedeute soviel als Hert-Eke, das heißt Hertas Eiche (Eiche, wo der Herta geopfert worden). Allein, wenn auch jene Göttin in dieser Gegend vorzüglich verehrt sein mag, so ist doch die Entstehung des Namens Herdecke anders und von der Stiftung des Klosters unzertrennlich, wie folgende Erzählung zeigen wird: Vor vielen hundert Jahren lebte in Italien eine junge, schöne und reiche Prinzessin namens Frederuna, eine Nichte des großen Kaisers Karolus (†814). Diese liebte einen vornehmen und tapferen Ritter und wurde von ihm wiedergeliebt; allein der Ritter starb im Kampfe gegen die Sarazenen (Araber, D.S.). Da wurde der unglücklichen Prinzessin ihr Vaterland und die Welt verhasst, und sie beschloß, gen Norden zu ziehen und ein Kloster zu bauen, in dem sie ihr Leben still und abgeschieden beschließen könne. Zu dem Ende verkaufte sie alle ihre Güter und ihre Besitzungen, lud das Geld auf Maultiere und zog nun fort aus ihrer Heimat, immer tiefer dem kalten Norden zu. Weil sie aber viel von den deutschen Eichen gehört hatte und wie es so still und heimlich darunter sei, so entschied sie, dort ihr Kloster zu bauen, wo die Maultiere zuerst und von selbst sich unter einer Eiche lagern würden. Lange zog sie umher, und die Tiere lagerten sich nicht. Endlich aber in einer anmutigen Gegend an der Ruhr legten sie sich unter einer großen herrlichen Eiche nieder. Da rief die Prinzessin voller Freuden: Hier de Eke! das heißt hier ist die Eiche! und sie baute allda ein prächtiges Kloster für Jungfrauen, das nach ihrem Ausrufe Herdecke genannt wurde und in dem sie lange als erste Äbtissin ein frommes, gottseliges Leben führte.

Anmerkungen:

Nach Bahlmann war Frederuna nicht die Nichte Karls des Großen. Die meist verschlossene evangelische Stiftskirche St. Marien des 818/19 gegründeten und 1811 aufgehobenen Frauenstiftes befindet sich an der *Stiftsstr. Die Kirche beherbergt noch Bausubstanz aus der karolingischen Gründungszeit. Am *Stiftsplatz sind noch einige historische Stiftsgebäude erhalten.

Literaturangaben: Dirk Sondermann, Ruhrsagen, Bottrop, 3. Aufl. 2010, S.186f.

Vom Fährmann von Herdecke und seinem unheimlichen Fahrgast

Als die Ruhr noch wenig Brücken hatte, gab es an einigen Stellen Fährboote, die die Bauern, Kaufleute, Frauen und Kinder von einem Ufer ans andere brachten. Wollte jemand über den Fluss und das Boot war gerade auf der anderen Seite, so musste man rufen: »Fährmann, hol über!« Fährmann August saß an einem dämmrigen Abend in seinem Boot am Ufer und stopfte sich den Tabak in die Pfeife. Über den Ruhrwiesen lag ein Nebelstreif. Kein Windhauch rührte sich. Da hörte er plötzlich eine mächtige Stimme rufen: »Holl öwer!« Als er aufschaute, sah er drüben am anderen Ufer eine riesige dunkle Gestalt stehen, die finster aus dem Nebel aufragte. August schrak zusammen. Er hatte niemanden näher kommen hören. Was war das für ein Riese? Das war die Stimme, die ihn in letzter Zeit schon mehrmals gerufen hatte. Immer war es im Dämmerlicht – und jedes Mal, wenn er zum anderen Ufer gekommen war, war niemand zu sehen gewesen. Er starrte hinüber. Nur ein riesiger Schatten stand da. »Holl öwer!«, dröhnte es wieder. August aber wollte sich nicht wieder narren lassen. »Wer ist da?«, rief er zurück. »Ich komme erst, wenn du sagst, wer du bist!« Aber sein Ruf wurde vom Nebel verschluckt. »Holl öwer!«, tönte es drohend und gewaltig zum dritten Mal. Da wurde August zornig. »Dann bleib in Gottes Namen da, wo du bist«, brüllte er, »ich hol dich nicht!« Kaum hatte er den Namen Gottes ausgesprochen, da stieß die dunkle Gestalt ein schreckliches Geheul aus, drohte einmal mit den Fäusten und – ein Blitzstrahl fuhr aus der Erde – war im nächsten Augenblick zerfallen wie Asche im Meer. Der Nebelstreif lag still über dem Ufer. Nur an einer Stelle klaffte eine Lücke. Dem Fährmann August schlotterten die Knie, die Pfeife in seiner Hand zitterte. Keuchend rannte er über die Aue nach Hause, als sei der Teufel hinter ihm her.

Anmerkungen: Mit Aue wird eine Flusslandschaft bezeichnet.

Literaturangaben: Dirk Sondermann, Ruhrsagen, Bottrop, 3. Aufl. 2010, S.187f.

Radtour

Von nun an gehts - zurück! Wieder an der Ruhr fahren wir rechts unter dem Herdecker Viadukt her am Harkortsee entlang bis zur Anlegestelle in Wetter (auffällig hier der Spielplatz mit dem Rieseneimer, vielleicht eine kleine Abwechslung für junge Mitfahrer). Wer ohne den Besuch von Alt-Wetter weiterfährt, nimmt den ausgeschilderten Ruhr-Radweg am See und anschließenden Obergraben entlang bis zur 2. Brücke (wie Hinweg) - wer aber einen Kulturabstecher zur höhergelegenen Freiheit Wetter einlegen will, fährt kurz nach der Anlegestelle rechts die Gustav-Vorsteher-Straße hoch, nimmt nach 300 m rechts die Wilhelmstraße und dann nach 200 m rechts die Kaiserstraße bis zum imposanten Rathaus. Zu Fuß, das Rad schiebend, durchstreifen wir hinterm Rathaus rechts die Straßen und Gassen von Alt-Wetter (Am Bollwerk, Kirchspiel, Burgstraße, Freiheit). Hier fällt die gelungene Kombination von idyllischen alten Fachwerkbauten und modernen Wohnhäusern auf. Begrünte Höfe wechseln sich ab mit alten Gässchen; in der Burgstraße finden wir die Keimzelle der hiesigen Industrie, die Reste der Burg Wetter, wo Friedrich Harkort seine Fabrik errichtete.

Sage

Burg Wetter

Die Ruhr strömt in silbernen Windungen, rechts die Höhen des Ardeygebirges bespülend und schlägt jetzt ihren Bogen um die »altberühmte« Burg zu Wetter.

(Das malerische und romantische Westfalen, 319, 321)

Die steinernen Brote von Wetter

Auf der großen und stark befestigten Burg Wetter im Kreise Hagen wohnte um 1200 ein Graf, der durch seine Hartherzigkeit weit und breit berüchtigt war, wohingegen seine schöne und gutherzige Gattin ohne sein Wissen so manches Gute tat. Als einst Fremde an das Tor der Burg kamen und um ein Almosen baten, ließ der Graf sie ohne Gnade und Barmherzigkeit in das Burgverlies werfen. In einem Hause in der Nähe der Burg lag einundzwanzig Jahre lang ein armer Tagelöhner krank, der sich schon alle möglichen Heilmittel hatte bereiten lassen. Da bat er seine Frau eines Tages, sie möchte versuchen, ein Stück Brot von dem Grafen zu bekommen durch das allein er noch gesund zu werden hoffte. Die Frau ging, um ihrem sterbenden Mann auch diese Bitte noch zu gewähren, trat zitternd und zagend durch das Burgtor und blieb stehen, um zu warten. Zu ihrem Glück erschien die Gräfin, der sie ihr Anliegen vorbrachte. Die Gräfin war so gerührt, dass sie sich trotz der großen Gefahr entschloß, das Brot zu besorgen. Sie schlich sich in den Keller und verbarg zweieinhalb Brote unter ihrer Schürze. Als sie aus dem Keller trat, kam der Graf, bemerkte, dass sie etwas unter der Schürze hatte und fragte: »Was trägst du da?« – »Da unten lagen einige Steine, die wollte ich heraufbringen! «, war die Antwort. – »Und du trägst Steine?« Mit diesen Worten riß er ihre Schürze fort, und die Brote fielen als Steine nieder. Die Gräfin war aus Furcht in Ohnmacht gefallen, und als sie sich wieder erholt hatte und der Graf sie nach der Ursache ihrer großen Angst fragte, erzählte sie die Geschichte. Von der Zeit an wurde der Graf anders, gab jedem Fremden gern, was er begehrte, und schickte dem kranken Tagelöhner das gewünschte Brot, so dass er bald wieder genesen konnte. Aber seine Gemahlin hatte allen Frohsinn verloren und starb schon nach einigen Jahren. Die steinernen Brote werden in dem Kirchenstübchen der lutherischen Kirche zu Wetter aufbewahrt.

Anmerkungen:

Die Höhenburg Wetter an der *Freiheit wurde 1250 vom Grafen von der Mark als Bollwerk gegen Burg Volmarstein, ein Besitz des Erzbischofs von Köln, am gegenüberliegenden Ruhrufer erbaut. Am 24. Dezember 1391 verstarb Graf Engelbert III. von der Mark auf der Burg und wurde im Stift Fröndenberg beigesetzt. 1819 errichtete Friedrich Harkort dort seine »Mechanischen Werkstätten«, die Vorläufer des Mannesmann- Demag-Konzerns. Ende des 19. Jahrhunderts war die Burg lange Zeit Domizil des Freiherrn vom Stein, der hier als Leiter des preußischen Oberbergamtes wirkte, ehe er preußischer Wirtschafts- und Finanzminister wurde. Die Ruine der Burg ist einschließlich einer Aussichtsplattform mit Blick auf den Harkortsee, einem Ruhrstausee, zu besichtigen. Von aufbewahrten »steinernen Broten« ist in der lutherischen Gemeinde und im Stadtarchiv zu Wetter nichts bekannt.

Literaturangaben: Dirk Sondermann, Ruhrsagen, Bottrop, 3. Aufl. 2010, S.184f.

Radtour

Wir fahren (Vorsicht! Verkehr!) die Kaiserstraße hinunter bis zur großen Ampelkreuzung und dort geradeaus auf der Ruhrstraße (vorbei am Nebeneingang des Bahnhofs) zur Ruhrbrücke, wo wir den von der Hinfahrt bekannten Ruhrtal-Radweg erreichen. Es geht zurück nach Witten, umgekehrt wie hin, über Wengern und Bommern, nahezu ausschließlich auf autofreiem Radweg. In Bommern nehmen wir wieder die Ruhrbrücke nach Alt-Witten hinüber und gelangen am bereits bekannten Haus Witten vorbei zur Bergerstraße und mit dieser links zum Hauptbahnhof.

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