Revolution in Rellinghausen

Aus Sagenhaftes Ruhrgebiet

Wechseln zu: Navigation, Suche
Schloss Schellenberg

Nur einmal soll das gute Einvernehmen der Rellinghauser mit »ihrem« Baron gestört gewesen sein, und zwar im Jahre 1848. Was war geschehen? Nun, selbst bis ins Dörfchen Rellinghausen war die Kunde von weltgeschichtlichen Ereignissen gedrungen. Man hatte davon gehört, daß in Frankreich Tausende von Arbeitern einen Aufstand angezettelt hatten. Man sprach sogar davon, daß der König von Frankreich abgesetzt worden sei und schon sein Land habe verlassen müssen. Aber nicht nur in Frankreich, auch in Deutschland gäbe es schon Aufstände! Aus Berlin sei zu vernehmen gewesen, daß Kämpfe zwischen Revolutionären und königstreuen Truppen stattgefunden hätten!

Die braven Rellinghauser waren zunächst ganz verstört, als sie diese schrecklichen Nachrichten hörten. Das war ja ganz unvorstellbar – Revolution gegen den König! Wie konnte man nur solch einen Unsinn glauben? Schnell ging man in Rellinghausen wieder zur Tagesordnung über. Aber die Nachrichten über Volksbewaffnung und Revolution kamen immer öfter, und so blieb es nicht aus, daß abends an den Biertischen doch hin und wieder einer der neuen Gedanken aufgegriffen wurde: Sollte es wirklich so schlecht sein, auch einmal gegen die hohen Herren aufzumucken? Und so wurde es – ganz allmählich – in Rellinghausen »modern«, revolutionäre Ansichten zu haben. Nachdem es aber einmal so weit gekommen war, gab es bald eine regelrechte Begeisterung. Es bildete sich eine so genannte Bürgerwehr. Der waren alle Rellinghauser beigetreten, die eine Waffe tragen konnten. Und an jedem Sonntagnachmittag versammelte man sich auf einem freien Platz und hielt Übungen ab, die stets von zahlreichen Gaffern, vornehmlich Frauen und Kindern, bestaunt wurden. Anschließend zog man mit Trommel- und Pfeifenklang wieder ins Dorf zurück, wo man bei Wein und Bier diskutierte. Es gab sogar zwei besondere Debattierklubs, in denen die Weltrevolution, insbesondere natürlich die von Rellinghausen, nächtelang vorbereitet wurde. Die Rellinghauser Staatsgewalt in Form eines einzigen Polizisten hielt sich bei diesen Ereignissen im Hintergrund, denn wie sollte es einer mit einer Masse überzeugter Revolutionäre aufnehmen? Und wenn gelegentlich die Überzeugungskraft des einzelnen in gegen die Wand geworfenen Gläsern oder handfesten Raufereien ihren Ausdruck fand, dann war das Auge des Gesetzes eben geschlossen. Schwierig wurde die Lage aber, als der Gedanke aufkam, daß doch auch die Herren von Schloß Schellenberg zu denjenigen gehörten, gegen die sich die Revolution eigentlich zu richten habe. Was jahrhundertelang nie geschehen war, trat nun ein: Man hörte Unmutsäußerungen über den Herrn Baron und seine Familie. Ja, selbst Schmähreden wurden unwidersprochen hingenommen. Schließlich keimte eines Abends der Gedanke auf, den großen

Vorbildern in Paris und Berlin nachzueifern und das Schellenberger Schloß zu stürmen, um seine Bewohner in alle Winde zu verjagen. Wie verabredet versammelten sich am folgenden Morgen die Mitglieder der Bürgerwehr am alten Gerichtsturm. Unschlüssig schaute man sich an. Sollte man wirklich so vermessen sein und das Unerhörte wagen? Was hatten die Schellenberger denn verbrochen? Sicherlich würde man bei einigen Gläsern Bier die Angelegenheit noch einmal in Ruhe bereden können. Und so zog man zunächst einmal in die nahe gelegene Schenke. Nachdem aber Bier und Wein in ausreichender Menge die durstigen Kehlen hinuntergeronnen war, da war auch der revolutionäre Mut wiederhergestellt, und mit geröteten Backen, unsicheren Schritten und lauten Gesängen zog man in den Wald, wild entschlossen zum Sturm auf das Schloß. Als die Rellinghauser in den Hof des Schellenberger Schlosses eindrangen, trat ihnen der Schloßherr persönlich entgegen. Verdutzt hielten die Kämpfer inne. Und diesen Augenblick nutzte der Baron: Mit flammenden Worten hielt er ihnen ihre schlechte Gesinnung vor, erinnerte er sie an ihre Pflichten gegenüber Gott und dem Staat. Er wies auf die vielen Wohltaten hin, die sie von ihm empfangen hatten, und bat sie, sich nicht selbst durch unüberlegte Handlungen unglücklich zu machen. Am Schluß seiner Rede versprach der Baron ein Faß Bier, wenn sich nun alle wieder an die Arbeit begeben würden. Das war der entscheidende Gesichtspunkt gewesen. Mit lauten Beifallsrufen nahm man die Aussicht auf Freibier auf, und noch schneller, als sie gekommen waren, kehrten die Rellinghauser ins Dorf zurück. Die Revolution in Rellinghausen war damit beendet.

Anmerkungen

Schloß Schellenberg befindet sich in Rellinghausen. Siehe auch die anderen Sagen aus Rellinghausen.

Schloß Schellenberg (WGS 84: 51.422517° 7.05115°)

Literaturnachweis

  • Schulze, 1990, 150–152


Hier finden Sie: Schloß Schellenberg (51.422517° Breite, 7.05115° Länge)

Diesen Ort mit weiteren Geodiensten anzeigen. Weitere Sagen aus Essen.

Dieser Text wurde folgendem Buch von Dirk Sondermann entnommen:

Ruhrsagen. Von Ruhrort bis Ruhrkopf.
Bottrop: Henselowsky Boschmann Verlag, 2005
ISBN 3-922750-60-5.





Der Text ist urheberrechtlich geschützt. Nähere Informationen: siehe Impressum.

Ruhr2010Logo
Redaktion