Raubritter Joost von Burg Blankenstein
Aus Sagenhaftes Ruhrgebiet
Vor einigen Hundert Jahren hauste auf Burg Blankenstein ein Ritter, der seinem Stand wenig Ehre machte – der Raubritter Joost. Sehr feinfühlig ging er mit seinen Untergebenen nicht um. Den Bauern ritt er durchs Korn, und wenn sie ihren Ärger wortreich zum Ausdruck brachten, knallte nicht selten die Peitsche des Ritters auf die Leute nieder, so daß sie vor Schmerzen laut aufschrien. Mit Gewalt machte er sich auch die eine oder andere junge Bauersfrau gefügig. Kaufleute waren vor ihm ebenfalls nicht sicher, häufig plünderte er sie bis aufs Hemd aus, so daß sie froh sein mußten, ihr nacktes Leben retten zu können. Auch der Pfarrer konnte keine Änderung der unerträglichen Situation herbeiführen. Er predigte den Bauern aus dem Römerbrief, sie sollen Gutes tun, denn wer Gutes tut, braucht die Herrschenden nicht zu fürchten, außerdem würden sie nach ihrem Tod im Paradies für ihr Leiden auf Erden reich belohnt werden. Der Raubritter trieb sein Unwesen immer weiter – jahraus, jahrein. Irgendwann aber fiel der berühmte Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte. »Es reicht – es muß etwas geschehen!«, stimmten einige Bauern überein und schritten zur Selbsthilfe. Doch leichter gesagt als getan: Sie lauerten dem Joost an einer Lichtung unweit der Burg Blankenstein auf ...
In ihrer Nähe war bald schon das Aufschlagen von Hufen auf dem Waldboden zu hören. Im Abendlicht war die Gestalt nur schemenhaft zu erkennen – doch es war der Raubritter – ganz sicher. Schnell sprangen die Bauern aus ihrem Versteck hervor, um Joost zu stellen, doch plötzlich war er verschwunden. Was war geschehen? Deutlich erkannte man die Hufabdrücke im weichen Waldboden – sie gingen den Spuren nach, als aus der entgegengesetzten Richtung unerwartet der Raubritter auf sie zu galoppierte. Schon knallte die Peitsche auf den Rücken eines Bauern nieder, schon schallte des Ritters höhnisches Lachen wieder durch die Nacht. Die Hufspuren des Pferdes zeigten doch in eine ganz andere Richtung – die Bauern waren völlig verwirrt –, kein Wunder, denn der Raubritter von Blankenstein hatte seinem Roß die Hufeisen verkehrt herum annageln lassen. Kein Ende nahm das verbrecherische Treiben des Burgherren. So konnte es nicht weitergehen. Wenig später kamen andere Bauern und Kaufleute zusammen, um zu beraten, was zu tun sei. Die Burg erstürmen? Zwecklos! Zu massiv waren die Mauern, zu gut bewacht war die Anlage. Dann fielen die Stichworte »Belagern« und »Aushungern«. Keine schlechte Idee. Los gingʻs: Die Geschädigten – und es waren nicht wenige – zogen vor Burg Blankenstein, die Anlage wurde belagert, kein Mensch kam mehr zur Burg herein, kein Mensch kam heraus. Doch das störte den Joost offensichtlich überhaupt nicht. Lautes Grölen und Krakeelen zeigte den Belagerern an, daß die Burgmannen bestens gelaunt waren, so manches Faß wurde dort oben leer getrunken. Und je lauter die da oben feierten, desto mißgelaunter und griesgrämiger wurden die da unten, die Belagerer; schon zwei Wochen hielten sie nun aus. Wenige Tage später kam eine alte Frau zu den Bauern und fragte: »Warum seid ihr so übel gelaunt? Eure Kinnladen hängen ja schon auf dem Bauchnabel!« Die Belagerer klagten ihr Leid. Die Greisin gab daraufhin den Ratschlag: »Grabt dem Raubritter doch das Wasser ab!« »Die Idee ist nicht schlecht«, erwiderte der Anführer, »das würden wir bestimmt tun, die Frage ist nur, wo liegt die Quelle?« Die Frau darauf: »Na, dann hört einmal zu: Ihr besorgt euch einen Esel, gebt ihm drei Tage lang nichts zu saufen und laßt ihn anschließend zum Burgberg laufen. Dort wo er mit den Hufen scharren wird, grabt ihr nach, genau an dieser Stelle wird sich die Quelle befinden, die den Burgbrunnen speist.« Diese Anweisung befolgten sie haargenau – was hatten sie schon zu verlieren? Nach dem dritten Tag schrie der Esel vor Durst, und nachdem er freigelassen worden war, scharrte er nach kurzer Zeit tatsächlich in der Nähe der Burgmauer mit den Hufen auf dem Boden; hier gruben die Belagerer nach, und wenig später floß ihnen in der Tat Wasser entgegen. Die Quelle war gefunden worden; sofort leiteten sie den Wasserfluß um, so daß der Burgbrunnen von Blankenstein versiegte. Und es war Sommer, Hochsommer sogar – und kein Tropfen Wasser in der Burg ... Das Jauchzen und Krakeelen dort oben wurde immer leiser und wandelte sich nach wenigen Tagen in ein Fluchen und Zähneklappern. Je markerschütternder Joost und seine Leute nun schimpften und keiften, desto lauter jauchzten und krakeelten nun die Belagerer. Kurze Zeit später öffnete sich das Burgtor, und ein Mann mit einer weißen Fahne, wohl ein Unterhändler, ritt aus der Burg heraus, auf die Bauern zu. »Joost will sich ergeben, aber nur unter der Bedingung, daß seine Frau verschont bleibt, und zwar mit dem, was sie auf drei Gängen aus der Burg heraustragen kann!« Die Belagerer überlegten. Sicher, die Frau des Raubritters war schon recht gebrechlich, nicht umsonst machte er sich dauernd über die jungen Bauernmädchen her, was sollte sie schon tragen können? »Ist in Ordnung!«, hieß die Nachricht an den Unterhändler. Wenig später. Wiederum öffnete sich das Tor der Burg, die Frau vom Joost erschien auf der Zugbrücke, noch nie sah man sie so krumm dahergehen, sie ächzte und stöhnte, als würde sie die Sünden der Welt tragen. Genauer betrachtet sah die Sache schon anders aus: Keinen anderen als ihren Mann, den Raubritter Joost selbst, trug sie aus der Burg heraus. Den Belagerern half kein Fluchen und kein Zähneklappern, nein – sie durften den Ritter nicht gefangennehmen, denn sie hatten ihr Versprechen gegeben.
Die alte Frau ging zur Burg zurück, um kurz danach in gleicher Weise, diesmal mit ihrem Sohn beladen, aus dem Tor herauszuwanken. Wieder ertönte das Schreien und Toben der Bauern, und abermals durften sie nicht einschreiten. Und zum dritten Mal ging sie in das alte Gemäuer, zum dritten Mal kam sie heraus. Doch was war das für ein Blinken und Funkeln? Tatsächlich den gesamten Burgschatz, die Räuberbeute, trug die alte Frau in großen Körben: kostbare Juwelen, Perlen, Gold-und Silbermünzen. Das Toben der Belagerer nahm kein Ende, wieder durften sie nichts unternehmen. So ging der Raubritter Joost mit seiner Familie triumphierend zur Ruhr hinunter, um über die betagte Holzbrücke den Weg in Richtung Weitmar zu nehmen, wo Verwandte wohnten. Die schmale Brücke ächzte unter dem Gewicht der drei Personen und des wertvollen Schatzes. Die Holzbalken krachten immer bedrohlicher unter ihren Füßen, schließlich brach die ganze Brücke in sich zusammen. Laut um Hilfe schreiend fiel die Familie mitsamt dem Schatz in die Fluten der Ruhr. Auch die Belagerer schrien laut auf, aber nicht, weil der Raubritter im Fluß sein nasses Grab fand, sondern weil der kostbare Burgschatz ebenfalls auf Nimmerwiedersehen in dem tiefen Wasserlauf versank. Bis in unsere Zeit hinein, so wird erzählt, soll in mondhellen Sommernächten hin und wieder tief vom Grund der Ruhr her ein Funkeln und Leuchten zu sehen sein. In solchen Momenten läßt der Schatz des Raubritters Joost sein Versteck erahnen ...
Anmerkungen
Bei dem Raubritter Joost handelt es sich wohl um Johann (Joost) von Syberg, der 1637 Verwalter der Burg Blankenstein wurde. Unter seiner Leitung wurde die Anlage, die keinen militärischen Wert mehr hatte, um 1662 geschleift. Viele wertvolle Materialien von Burg Blankenstein, wie behauene Quadersteine, Dachschiefer und Eisenteile ließ von Syberg zur Ausbesserung seines teilweise baufälligen Wohnsitzes Haus Kemnade verwenden. Die Bewohner des Ortes Blankenstein waren über den Abbruch der Burg sehr verärgert und schrieben 1664 einen Beschwerdebrief an ihren Landesherrn, den »Großen Kurfürsten« Friedrich Wilhelm von Brandenburg (1620–1688). Darin schilderten sie die Burg als »ansehnlichste, schönste und festeste unter allen Schlössern der Grafschaft Mark«; sie wurde aufgrund fälschlicher Behauptungen von Seiten Sybergs unrechtmäßig geschleift, nur um Baumaterial für den Verwalter einzubringen. Das negative Bild vom Burgverwalter Johann Georg von Syberg, das bei der Blankensteiner Bevölkerung vorgeherrscht haben muß, hat wohl zur Sagenbildung um den »Raubritter Joost« beigetragen. Die Ruhrbrücke jedoch wurde erst lange nach »Raubritter Joost« im Jahre 1928 erbaut. Die Familie von Syberg führt ein fünfspeichiges Rad auf silbernen Grund in ihrem Wappen. Dieses Wappen weist darauf hin, daß sich schon 850 Jahre vor dem Raubritter Joost einer seiner Väter bei unseren Vorfahren durch Hochverrat äußerst unbeliebt gemacht haben dürfte (siehe Sage 93). Das wasserumwehrte Haus Kemnade birgt heute ein Museum und ein Restaurant. Es liegt in Hattingen An der Kemnade 10.
Burg Blankenstein (WGS 84: 51.406567° 7.2295°)
Haus Kemnade (WGS 84: 51.4075° 7.249533°)
Literaturnachweis
- Vgl. Sondermann, BS, 40–43 (nach: Von Raubrittern und Kobolden ..., 33–35, von Marcel Grabosch/Witten und Waltraud Rother/Bochum); Wengeler, Fritz (Hg.),750 Jahre Burg Blankenstein, Blankenstein 1977
Hier finden Sie: Burg Blankenstein (51.406567° Breite, 7.2295° Länge)
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Weitere Sagen aus Hattingen.
Dieser Text wurde folgendem Buch von Dirk Sondermann entnommen:
Bottrop: Henselowsky Boschmann Verlag, 2005
ISBN 3-922750-60-5.
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