Im Sturm tobt der Rüstedi
Aus Sagenhaftes Ruhrgebiet
Zwischen der oberen Seseke und der Haar gibt es einen wilden Kerl, der im Sturm einhertobt und vor dem sich Bauern und Gesinde, Alte und Junge hüten müssen. »Rüstedi« wird er genannt. Ältere haben ihn als Kinder noch gehört und wissen, wie er zu bannen ist. »Rüstedi« – »mach dich bereit, sei auf der Hut«, bedeutet wohl sein Name. Nur wenn der Novembersturm heult, lässt er sich spüren. »Wilder Jäger« sagt man anderswo und zieht ängstlich den Kopf ein. Ein alter Hellwegler lernte sein Unwesen als kleiner Junge in der Gegend von Flierich kennen und erinnert sich oft daran.
Der Kleine mag sechs Jahre alt gewesen sein – 80 Jahre sind seither vergangen – als an einem Abend im November der Sturm gegen die Fenster donnerte, die Gardinen wehten und die Türen schlugen. In dieser Stunde erzählte sein Großvater, mit dem er in einem Zimmer schlief, vom Rüstedi – der könnte ihnen nichts tun, denn er, der Großvater, habe schon vor Tagen ein Strohseil um die Toreichen gewunden, und davor habe der Rüstedi Furcht.
Im November, so erzählte der Großvater weiter, jagt er im Sturm über die Felder. Vor Hunderten von Jahren beging er als Mensch manche böse Tat, so dass ihn der Herr zu ewiger Ruhelosigkeit verdammte. Das Jahr über in der Hölle, doch im November lässt ihn der Satan heraus. Aber seiner Wildheit ist eine Grenze gesetzt, denn an den schwachen Strohseilen, die ihn bannen, zerschellt seine böse Macht. So sehr er auch zürnt und tobt und Ziegel zersplittern lässt, so muss er doch den Hof in Ruhe lassen. Hatte ein Bauer einmal den Strohbann vergessen, dann mahnte ihn vielleicht ein Nachbar - »Rüste di, hai kümmet bolle!« Aber wehe dem Haus, das ohne Bannseil ist! Da wohnte an der Seseke ein Kötter, der das Haus Gottes steht’s nur von außen sah und der alle verspottete, die es mit dem alten Brauch hielten und Strohseile wanden. Über ihn hatte der Rüstedi Macht. Eines Nachts riss er ihm den großen Birnbaum aus dem Boden und warf ihn auf das Haus, so dass das ganze Dach zerbrach.
Anmerkungen
Die Geschichte vom »Rüstedi« (Rüste dich) schlägt stark in die Brauchtumsüberlieferungen ein, verbunden mit dem Themenkreis um die Wilde Jagd, die ihren teuflischen Charakter im Zusammenhang mit der Christianisierung erhalten haben dürfte, ursprünglich in den meisten Fällen aber wohl den Wotanszug bedeutete. Ernst Große Brauckmann wies auf den Stoff erfreulicherweise hin. (Palme) Flierich ist ein Ortsteil von Bönen. Der Bach Seseke fließt durch Bönen–Flierich.
Literaturnachweis
- Helmut G. & Gerda Palme, Sagen vom Hellweg, Hg.: Kreis Unna, Erweiterte Neuauflage Schwerte 1987, Nr. 22
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