Graf Ostermann

Aus Sagenhaftes Ruhrgebiet

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Heinrich Graf Ostermann (1687-1747)
Gedenktafel an der Ostermannstraße in Bochum

Nun folgt keine Sage, aber der Bericht einer sagen-haften Karriere:

Ein junger Mann aus Bochum, Heinrich Johann Friedrich Ostermann, muss bei Nacht und Nebel aus seiner Heimat fliehen und kommt über Holland nach Russland. Dort macht er eine schier unglaubliche Karriere: Er bringt es unter Zar Peter dem Großen und dessen Nachfolgern zu höchsten Ehren, zu Macht und Reichtum. Über zwei Jahrzehnte lang kann er die Fäden der russischen Politik in der Hand halten und sich im Glanz des höfischen Lebens sonnen. Dann wird er gestürzt, zum Tode verurteilt und schließlich zur Verbannung nach Sibirien begnadigt. Hier ist er einsam und verarmt 1747 gestorben: Ein faszinierendes, zugleich vielfach gebrochenes Lebensschicksal in einer von starken Umbrüchen gekennzeichneten Zeit.

Wer war dieser Heinrich Ostermann – oder wie er sich in Russland nannte – Andrej Iwanowitsch Ostermann?

1687 in Bochum geboren, stammte Ostermann aus einer angesehenen Familie, die Bürgermeister, Advokaten, Richter, Pfarrer hervorgebracht hat. Sein Großvater und sein Vater waren lange Jahre Pastoren an der evangelischen Pauluskirche in Bochum. Nach seiner Schulausbildung an den Gymnasien in Soest und Dortmund ging Ostermann an die Universität Jena, um Jura zu studieren. Hier ereignete sich jener tödliche Zwischenfall, der sein weiteres Leben radikal verändern sollte: Im Streit und in ‚großer Trunkenheit‘ erstach er einen Kommilitonen (Studienkollege).

Heinrich Ostermann, damals noch keine 16 Jahre alt, tauchte unter und floh nach Amsterdam. Dort ließ er sich als Untersteuermann in der russischen Marine anheuern.

In Russland lernte Zar Peter der Große den intelligenten, sprachbegabten, fleißigen Ostermann kennen und schätzen. Er machte ihn zum Sekretär und Ratgeber in außenpolitischen Fragen, schickte ihn als Emissär (Gesandter) an die wichtigsten Höfe Europas, ließ ihn die Verhandlungen zur Beendigung des Nordischen Krieges führen. Der Friedensvertrag mit Schweden in Nystadt 1721 war das Meisterstück des jungen Diplomaten Ostermann, der nun eine schnelle Karriere am Zarenhof machte: Er wurde zum Vizekanzler und Außenminister ernannt, in den erblichen Grafenstand erhoben und mit einer Frau aus dem russischen Hochadel verheiratet. Schließlich stieg er zum Premierminister und Generaladmiral auf und wurde so für die gesamte russische Politik zuständig – im Innern wie nach außen. Sein Einfluss und seine Machtfülle waren schließlich so groß, dass er als der »ungekrönte Kaiser« Russlands galt.

Das brachte aber auch sein schnelles Ende: Vor 260 Jahren wurde Ostermann nach einer Palastrevolte gestürzt und schließlich in die Verbannung geschickt: steiler Aufstieg und tiefer Fall.

Später wurde Ostermann rehabilitiert. Unter Katharina der Großen machten die Söhne ebenfalls eine große politische und militärische Karriere. Es kam zu Heiratsverbindungen mit der Adelsfamilie der Tolstoj und mit der Fürstenfamilie der Golizyn. Letztendlich: eine gelungene deutsch-russische Erfolgs- und Integrationsgeschichte.

Zur Bedeutung Ostermanns:

Ostermann hat fünf russischen Herrschern gedient: Peter dem Großen, Katharina I., Peter II., Anna Ioannowna, Iwan VI. In einer äußerst instabilen Übergangszeit nach dem Tod Peters des Großen war Ostermann der Garant (Gewährsmann) für politische Stabilität und Kontinuität. Er schuf einen modernen diplomatischen (außenpolitischen) Dienst, verteidigte mit allen Mitteln die eingeleitete Westöffnung und die errungene Großmachtstellung Russlands und trieb die innere Modernisierung des Landes weiter voran. Als aufgeklärter, philosophisch reflektierender (denkender) Staatenlenker und Erzieher Peters II. versuchte er, das Bild eines »idealen Herrschers« zu entwerfen und die Politik insgesamt auf Vernunft und Staatsräson zu gründen.

Als Wanderer zwischen den Welten, als Deutscher und als Russe wurde er zu einem wichtigen Förderer der deutsch-russischen Beziehungen. Dadurch behält sein Werk nicht nur Gültigkeit für das 18. Jahrhundert, sondern auch für die heutige Zeit. (Dr. Wagner)

Mit dem Friedensvertrag von Nystadt (1721) erhielt Rußland Livland, Estland und weitere Gebiete zugesprochen.

»Westöffnung«: Öffnung Russlands für politische und kulturelle Einflüsse Westeuropas (vor allem Frankreichs und Deutschlands).

Staatsräson: Grundsatz, dass die Staatsinteressen allen anderen Interessen voran stehen.

Im »Nordischen Krieg« (1700-1721) verlor Schweden gegen Russland, Dänemark, Sachsen-Polen und Preußen seine Großmachtstellung im Kampf um die Herrschaft im Ostseeraum.

Ostermanns Geburtshaus stand an der Ecke Massenbergstraße/-Schützenbahn. Die Pauluskirche steht an der Pariser Straße.

Im Jahre 2001 wurde Ostermann – in Zusammenarbeit mit dem Staatlichen Historischen Museum in Moskau – im Stadtarchiv Bochum (Kronenstr. 47-49) eine große Ausstellung gewidmet: Ein Deutscher am Zarenhof. Heinrich Graf Ostermann und seine Zeit. Die phantastische Karriere eines Bochumer Pastorensohnes.

Stadtarchiv Bochum (WGS 84: 51.47433° 7.220163°)

Literaturnachweis

  • Dr. Johannes Volker Wagner (Direktor des Stadtarchivs Bochum), Informationsblatt zur Ausstellung: Ein Deutscher am Zarenhof (26.3.-10.6.2001); Kortum, 1790, 222


Hier finden Sie: Stadtarchiv Bochum (51.47433° Breite, 7.220163° Länge)

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Dieser Text wurde folgendem Buch von Dirk Sondermann entnommen:

Bochumer Sagenbuch.
Verlag Pomp, 2004
ISBN 978-3893550678.




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