Die drei goldenen Kugeln

Aus Sagenhaftes Ruhrgebiet

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Kamin und Spinnrad eines Hofes im 18.Jhd. im Gotland-Bunge Museum

Der erste Ritter von der Leithe hatte gerade seine Wasserburg am Schwarzbach fertig bauen lassen mit Mühle, Mühlenwehr, Wirtschaftsgebäuden und Gräfte. Und als er überrechnet und bezahlt hatte, blieb ihm von seinem ganzen Vermögen auch nicht ein einziger Schilling mehr übrig. So saß er einen Tag später, nachdem er alles ausgegeben hatte, in seiner Stube am schweren Eichentisch vor dem Kamin und sann und sann. Wie sollte er wieder zu Gelde kommen? Wenn er kein Geld hätte, würden ihn die Leute und erst recht die Nachbarritter nicht mehr achten, und wenn sie ihn nicht mehr achteten, würde niemand seinen Befehlen gehorchen. Er wäre dann ein armer Ritter, ein Ritter von der traurigen Gestalt, ein Gegenstand des Spottes und Hohnes.

Wie er so sinnt, rollt aus dem Kaminrund eine Kugel so groß wie ein Menschenkopf, und auf der rollenden Kugel steht, auf den Zehenspitzen eines Fußes strack und stolz aufgerichtet, eine Frauengestalt. Ihr Kleid war von Goldstoff, ihr lang herabwallendes Haar war golden, ihr Gewicht strahlte wie goldener Sonnenschein, von der rechten Schulter lag eine feuerrote Schärpe nach der linken Hüftseite. In den Händen hielt die sonderbare Frauengestalt ein einfaches, glattes Kästchen, so lang wie eine Hand, so breit wie ein Mittelfinger, so hoch wie ein Kleinfinger.

Der Ritter, durch den goldenen Schein aus seinem Nachdenken aufgeschreckt, sieht die Frau verwundert an und kann kein Wort finden. Die Frau, die inzwischen auf ihrer Kugel vor den Ritter hingerollt war, spricht zu diesem: »Ich bin die Glücksfee. Was Euch bedrückt, weiß ich. Nehmt dieses Kästchen! Es enthält, damit ihr’s wisst, drei goldene Kugeln. Auch ein Geheimbrief liegt in diem Kästchen. Aber fraget nicht weiter danach und begehret ja nicht seinen Inhalt zu wissen. Solange das Kästchen uneröffnet in Eurem Besitz und in dem Eurer Nachkommen verbleibt, wird Euch die erste Kugel Reichtum, die zweite Ehre und die dritte Macht verleihen. Wollt Ihr das Kästchen von der Glücksfee annehmen?« Und freudig bewegt antwortete der Ritter: »Ja. « Da gab die Fee das Kästchen dem Ritter in die Hand und sprach dabei: »Den Schlüssel will ich lieber mitnehmen, damit Ihr nicht so leicht in Versuchung kommt, das Kästchen zu öffnen. Ich sage Euch aber noch einmal: Hütet Euch vor dem Öffnen!« Der Ritter wollte sich bedanken, aber da war die Fee auf ihrer Kugel schon davon gerollt und wie eine Nebelgestalt verschwunden.

Der Ritter hütete nun das Kästchen wie ein Heiligtum. Er schloss es in einem Schrank fest und sicher ein.

Und siehe da, von Stund an fiel dem Ritter der Reichtum nur so zu: Die Bauern brachten – wenn auch nicht gern – reichlich den Zehnt und andere Abgaben, der Herrschaftsmüller mahlte fleißig Bauernkorn, und von dem Malter (altes Getreidemaß; D. S.) hatte der Ritter sein gutes Teil. Die Ländereien trugen reichlich Frucht. Auf der Burg Leithe gab es bald Geld in Hülle und Fülle. Als dann die Äbtissin (vom Stift Essen; D. S.) in Geldverlegenheit war, wandte sie sich an den Ritter von der Leithe. Er konnte ihr gut aushelfen. Auch andern vornehmen Leuten konnte er Geld leihen. Kirche und Kapellen schenkte er reichlich Geld, ja er konnte wegen seines vielen Geldes eine eigene Kapelle neben seiner Burg bauen und einen besonderen Priester anstellen. Die Ritterfrau schenkte dem Kloster ein vergoldetes silbernes Schmuckschiff. Und bei der Äbtissin, bei den Kaufleuten, bei den andern Rittern stieg von Tag zu Tag seine Achtung. Nach seinem Tode sollten für ihn und die Ritterfrau zum ewigen Gedächtnis Jahresmessen im Kloster, in Kirchen und Kapellen gelesen werden. Mit Ehren wurde der Ritter von der Leithe nur so überhäuft. Zu einer Königskrönung am Rhein wurde er hinzugezogen. Als er einmal oder auch ein paar Mal dem immer geldbedürftigen Grafen von der Mark Geld geborgt hatte, das dieser wohl nimmermehr zurückzahlen konnte und auch nicht mochte, übertrug ihm der Graf das Amt eines Drosten (Amtmann; D. S.) oder militärischen Schutzwalters über das Stift Essen. So hatte der Ritter von der Leithe auch Macht bekommen, zu der sich wiederum Ehren und Reichtümer gesellten.

Nun wollte sich der Ritter auch ein passendes Wappenschild zulegen. Er dachte da gleich an die Glücksfee. Auf seine Burg ließ er einen Wappenkünstler kommen und sprach zu ihm: »Bilde mir ein Wappen: Aus purem Golde sei das Feld«, – und dabei dachte der Ritter an die goldene Gestalt der Fee –, »der Schrägrechtsbalken sei rot«, – dabei dachte er an die rote Schärpe –, »und auf den Balken setze drei Kugeln, wiederum aus purem Golde«, – dabei dachte der Ritter an Reichtum, Ehre und Macht, so ihm und seinem Geschlecht die Fee verheißen. Der Wappenkünstler tat, wie ihm der Ritter beauftragt hatte und lieferte bald das Wappenbild auf der Burg Leithe ab, wobei der Ritter aber ein Merkliches von der Forderung des Künstlers abhandelte.

Reichtum, Ehre und Macht sowie auch das Wappenbild erbten sich Jahrhunderte hindurch von Geschlecht zu Geschlecht bei den Rittern von der Leithe am Schwarzbach fort, weil das Kästchen immer von dem Vater auf den Sohn vererbt wurde und jeder neue Erbe sich wohl hütete, es zu öffnen, es dagegen gut und sorgfältig aufgewahrte. – –

Als nach etlichen Jahrhunderten ein Ritter von der Leithe die Burg Leithe mit allem Zubehör geerbt hatte und auch das Kästchen, mochte er gerne wissen, ob denn wirklich drei goldene Kugeln darin seien, ob ein Brief darin liege und vor allem, was in dem Briefe stehe. Schon am Tage nach dem Begräbnis seines Vaters holte der neue Burgherr das Kästchen aus dem Versteck hervor und versuchte es mit dem einen oder andern Schlüssel zu öffnen. Als ihm das nicht gelang, erbrach er es gewaltsam. Und wirklich: Darin lagen drei goldene Kugeln und ein siebenmal versiegelter Brief. Rasch erbrach der Ritter diesen und las:

»Öffnet und liest diesen Brief ein Ritter der Burg Leithe am Schwarzbach, so ist der Ritter, will er nicht zur Stund Reichtum, Ehre und Macht verlieren, gehalten, am ersten Johannistag (1. Juni ?,D. S.) nach Lesen dieses Briefes dicht an den Rand des Mühlenkolks zu gehen mit den drei goldenen Kugeln. Alsdann hat der Ritter, das Gesicht dem Kolk zugewandt, jede einzelne der drei Kugeln mannshoch emporzuwerfen und dann mit der linken Hand aufzufangen. Jedes Jahr am Johannistag ist dieser Kugelwurf vorzunehmen. Doch:

So Kugel eins ins Wasser fällt,
ist’s mit dem Reichtum schlecht bestellt.
Und fällt die andere ins Wehr,
dann ist es aus mit deiner Ehr’.
Fällt auch die Kugel drei – die Macht –:
Dann Reichtum, Ehr’ und Macht –– gut’ Nacht!«

Am ersten Johannistage ging der junge Ritter an das tiefe Mühlenwehr, trat dicht ans Ufer und warf die erste Kugel mannshoch empor. Beim Haschen nach ihr verfehlte er sie und sie fiel in den Weiher. Die beiden andern Kugeln fing er auf. Er ließ alsbald den Weiher entleeren und fleißig nach der Kugel suchen. Vergebens!

Mit dem Reichtum auf der Burg ging’s merklich den Krebsgang. Der junge Ritter trug durch seine Verschwendungssucht am meisten dazu bei.

Am Johannistag des folgenden Jahres tat der junge Ritter zum zweiten Mal nach dem Befehl im Brief. Dabei ging die zweite Kugel verloren. Bald merkte der Ritter, dass es mit seinem Ansehen, da er keinen Reichtum mehr hatte, bergab ging.

Abermals nach einem Jahre, wieder am Johannistage, ging der Ritter an das tiefe Wehr und warf die dritte Kugel empor. Er verfehlte sie beim Auffangen, und sie war und blieb unwiederbringlich dahin.

Da der Ritter weder Reichtum noch Ansehen hatte, entzog ihm der Graf das Drostenamt, das Amt, das ihm Macht verliehen hatte. So war denn dieser Ritter ein armer Ritter geworden. Er zerriss den Brief und wanderte aus und kam ans Meer. Er setzte sich auf ein Schiff und fuhr ins ferne Livland, um dort Abenteuer zu suchen. Was aus ihm geworden ist? Niemand weiß es.

Burg und Boden Leithe am Schwarzbach aber gingen nun von einer Hand in die andere über. Wohl ein Dutzend Mal mögen sie ihren Besitzer gewechselt haben. Sie kamen dabei einmal sogar unter den Hammer. Endlich gingen sie in Bauern- und Bürgerhände über, die ihnen neues Leben zuführten.

Das goldene Wappenschild mit dem roten Schrägbalken und den drei goldenen Kugeln ist verschwunden. An fremder Stelle nur hängt noch ein farbloses Wappenschild der Ritter von der Leithe am Schwarzbach.

Sein Wappen, worauf einst der Ritter so stolz,
aus Golde und Feuer, ist – wurmiges Holz. »

Anmerkung

Livland, einst zum Territorium des Deutsch-Ritter Ordens gehörend, wurde 1918 zwischen Estland und Lettland aufgeteilt.

Die ehemalige Wasserburg Leithe liegt am Junkerweg 30. in jenem Teil Leithes, der 1926 von Wattenscheid an Gelsenkirchen abgetreten wurde. Der Name Leithe läßt sich von dem sächsischen Wort »leithan“ ableiten und bedeutet Grenze. Das Gut war also ursprünglich eine sächsische Grenzburg auf der Scheidungslinie zwischen Sachsen und Franken. Der Schwarzbach fließt offen etwas nördlich von Haus Leithe am Mühlenbruch. Krebsgang = sich rückläufig entwickeln.

Die Ritter von Leithe werden in den Jahren 1213 bis 1243 wiederholt im Gefolge der Fürstäbtissinnen von Essen (Siehe die geschichtliche Einleitung zu Essen.) und der Grafen von der Mark genannt.

Wasserburg Leithe (WGS 84: 51.498743° 7.099964°)

Literaturnachweis

  • WS, 81-85 (nach Grasreiner, 1925, 104-108; nach Leiermann, 1936, 168 sind diese Aufzeichnungen ``nicht im Volke entstanden. Es sind Erdichtungen der Verfasser. »Vgl. Pütters, 1; vgl. Bröker, 1996, 11, 34; zur Geschichte von Haus Leithe: Höfken, in Griese, 25-32.)


Hier finden Sie: Wasserburg Leithe (51.498743° Breite, 7.099964° Länge)

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Dieser Text wurde folgendem Buch von Dirk Sondermann entnommen:

Emschersagen. Von der Mündung bis zur Quelle.
Bottrop: Henselowsky Boschmann Verlag, 2006
ISBN 3-922750-66-4.




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