Die Hexe aus Westerholt
Aus Sagenhaftes Ruhrgebiet
»Als Spickermanns Änneken vom Grafen von Westerholt eingekerkert worden war, musste sie viel leiden. Sie lag in Ketten im dunklen Verlies der Burg und litt Hunger, Durst und Kälte. Nachts kam die gute Gräfin heimlich zu ihr, brachte ihr zu essen und zu trinken, wusch ihre Wunden und verband sie.
Man hatte Änneken der Hexerei angeklagt. Sie wurde gefoltert und gequält. Auf Wunsch des Grafen hatte der Rentmeister sie vorher aufgenommen. Sie war ein ehrliches Mädchen und arbeitete fleißig und gut. Als sie aber die Belästigungen dieses Mannes nicht mehr ertragen konnte, lief sie fort. Der Bösewicht klagte sie der Hexerei an und behauptete, sie entferne sich nachts auf einem Besen reitend durch den Schornstein. Als Änneken unschuldig verbrannt worden war, ließ die Gräfin zur Sühne für das Schreckliche im Linnefant, einem Wald zwischen Buer und Westerholt, eine Kapelle bauen. Der Spruch, den sie dort anbringen ließ, sollte beider Schmerzen zeigen: Ännekes Leiden und Verlassenheit, aber auch ihren Schmerz. «
Anmerkung
Anna Spickermann war 1671 in der Bauerschaft (Gelsenkirchen-)Sutum, südlich von (Gelsenkirchen-) Buer gelegen, als uneheliches Kind der Elscken Spickermann geboren worden. Nach dem frühen Tod der Mutter wuchs sie dort auf. Annas Mann hatten Kriegswerber fortgelockt, und sie stand mit ihrem Kind allein. Sie ging zu ihrer Tante nach Westerholt. Eine Zeitlang war die junge Frau auf dem Hause Westerholt angestellt. Danach wohnte sie bei ihrer Tante, der »Reidtschen« (Frau Reidt) und weiterhin bei anderen Dorfbewohnern. »Wohnen« hieß zur damaligen Zeit auch, dort zu arbeiten. Inzwischen war ihr Kind gestorben. Die hübsche junge Frau erregte die Aufmerksamkeit der Junggesellen und Männer, und da sie keinen schützenden Ehemann hatte, wurde ihr nachgestellt. Besondere Schwierigkeiten machte ihr der junge Krampe, der durch eine Krankheit seine Manneskraft verloren hatte. Da Anna ihn abgewiesen hatte, weil er verlobt war, suchte er sich zu rächen mit dem Gerücht, Anna hätte Schuld an dem Verlust seiner Männlichkeit. Einige Junggesellen der Freiheit Westerholt, aufgehetzt von Krampe, besonders einige Knechte, prügelten die »Hexe« so lange, bis sie vor Angst und Schmerzen fast besinnungslos, ein »Geständnis« ablegte. In den Verhören bestritt sie ihre erpressten Aussagen und erklärte, wie dieses zustande gekommen waren. Bei Anwendung der Folter erreichte der Richter alle gewünschten Geständnisse.
Das Haus Westerholt besaß ein Patrimonialgericht, ein Gericht, das allgemein einer Gutsherrschaft gehörte und vererbt wurde. In der Freiheit Westerholt gab es mehrere Bürgerinnen und Bürger, die die Verhaftete belasteten und ihre »Schuld ins Unermessliche trieben«. Aufgrund der Aussagen und der erpressten Geständnisse wurde im Januar 1706 das Urteil gefällt: Hinrichtung durch das Schwert und nachfolgende Verbrennung. Dieses »Schauspiel« sollte vor allen Bewohnern Westerholts stattfinden »zum abscheulichen Exempel« und zur Warnung, wie der Richtspruch sagte.
Dagegen wehrten sich nun Burgherr und Bürger. Sie verweigerten eine Hinrichtung nahe der }}Freiheit. Nach Eingreifen des Landesherrn gegen Grundherrn und Bürger, die sich nochmals gegen eine Beiwohnung am Urteilsvollzug wehrten, ordnete der Recklinghäuser Richter Clamor Münch an, dass alle Bürger in ihren Häusern bleiben mussten. 700 Schützen aus dem Vest Recklinghausen waren aufgeboten, die Ausführung der Anordnung zu überwachen.
Weitere 16 Monate vergingen, bis die Zeugen von Ännekens angeblichen Straftaten vor Gericht gestellt und verurteilt wurden. Der Landesherr bestrafte alle Eingesessenen der Freiheit Westerholt mit einer Zahlung von 186 Reichstalern für Gerichtskosten, die an den Burgherrn zu zahlen waren.
Schloss Westerholt, ehemaliger Stammsitz der in vestisch-kurkölnischen Diensten stehenden Grafen von Westerholt-Gysenberg, liegt an der Schlossstr. 1 in Herten-(Westerholt). Heute birgt der wasserbewehrte Adelssitz einen Golfclub und ein Restaurant. Das Gebäude ist von außen zu besichtigen. Von der ursprünglichen Burg aus dem 12. Jahrhundert ist oberirdisch nichts erhalten. Das jetzige Gebäude wurde 1830 im klassizistischen Stil erbaut. (Rad-)Wanderwege und der sehenswerte historische Dorfkern der alten Freiheit Westerholt laden zu einem Ausflug ein. Die Siebenschmerzen-Kapelle liegt südlich der Westerholter Str. in der Löchterheide (im Stadtplan ausgewiesen). Jährlich am 15. September wird dort das Hochfest der sieben Schmerzen Mariens gefeiert. Die Kapelle ist von außen zu besichtigen. Durch eine Glastür kann man den Innenraum betrachten. Der Spruch in der Sühnekapelle lautet: »O, ihr alle, die ihr vorübergeht und sehet, ob ein Schmerz ist wie der meinige« Die Kapelle wurde 1723 zum Andenken an ihren 1708 plötzlich verstorbenen Mann, den Burgherrn von Westerholt, von der Burgherrin errichtet und 1999 sehr nüchtern grundsaniert.
Bauerschaft bezeichnet eine kleine aus Bauernhöfen bestehende Siedlung ohne Stadtrechte.
Schloss Westerholt (WGS 84: 51.597667° 7.090933°) Sieben Schmerzen-Kapelle (WGS 84: 51.58525° 7.0718°)
Literaturnachweis
- Kollmann,78-81, In Am. verwendete u. weiterführende Lit. : ebd.
Hier finden Sie: Schloss Westerholt (51.597667° Breite, 7.090933° Länge)
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Dieser Text wurde folgendem Buch von Dirk Sondermann entnommen:
Bottrop: Henselowsky Boschmann Verlag, 2006
ISBN 3-922750-66-4.
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