Die Grubenmännchen
Aus Sagenhaftes Ruhrgebiet
Vor vielen hundert Jahren lebte in Sprockhövel der arme Bergmann Hennemann mit seiner Frau und fünf Kindern. Sie wohnten in einer verfallenen Hütte, die kaum größer war als ein Ziegenstall. Oft jammerten die Kinder vor Hunger und der Mutter schnitt es ins Herz.
Kamen einmal Leute vorüber und sahen die arme Familie, so sagten sie wohl: »Ach, so ein graues Elend.« Der Bergmann wusste aber auch nicht, was er noch machen sollte. Tag für Tag ging er in die Grube, um nach Kohle zu hacken, aber sein Lohn blieb gering. Die Felsen, die er aufhacken musste, waren furchtbar hart und die Kohlenschichten, die er manchmal fand, waren so schmal, dass sie kaum Lohn brachten. Eines Tages machte er bei der Arbeit eine Pause und lehnte sich müde an die kühle Felswand. Die Augen fielen ihm zu. Und seltsam – plötzlich krabbelten aus den Felsspalten kleine Zwerglein mit einer Zipfelmütze auf dem Kopf. Alle trugen sie winzige Hacken mit sich und kleine Laternen mit hellem Licht. Ein Männchen wackelte auf Hennemann zu und blieb genau vor ihm stehen. Es stippste mit dem Zeigefinger auf den Bauch des Bergmanns: »Höre«, sagte das Grubenmännchen, »ich habe gesehen, dass du fleißig bist und ich will dir helfen.« Der Mann öffnete die Augen. »Wer bist du?«, fragte Hennemann verwundert. »Psst«, sagte das Männlein und hielt den Finger vor den Mund »meinen Namen darf ich dir nicht nennen. Ich bin so alt wie der Berg und lebe im Berg. Ich kenne jedes Kohleflöz* - und würden wir nicht heimlich die Menschen leiten, so fänden sie die Kohle nicht. Auch dir will ich helfen, wenn du mir nur jeden Morgen von deinem täglichen Brot ein Stückchen auf diesen Stein legst. Aber ich warne dich: Niemanden darfst du von mir erzählen, sonst hört dein Glück auf der Stelle auf!« Freudig versprach der Bergmann alles und dann machte er sich frisch an die Arbeit. Vielleicht habe ich nur geträumt, dachte er. Die Felsen schienen aufzuspringen und Kohle fand er so viel wie sonst in vier Wochen nicht. Treu legt er jeden Morgen ein Stück Brot auf den Stein. So ging es nun Tag für Tag, obwohl er keines der Männlein wiedersah. Die Not seiner Familie hatte ein Ende und bald konnte er sich aus Holz und Lehm ein schönes Fachwerkhaus machen. Neugierig fragte manchmal seine Frau: »Was ist geschehen, das wir auf einmal von allem genug haben?« Hennemann aber lächelte dann nur und sagte: »Frag nicht, Frau, und sei zufrieden.« Einmal feierten die Bergleute gemeinsam ein Fest, spielten, sangen, tanzten und tranken. Als sie nun spät am Abend schon über den Durst getrunken hatten, sagte einer: »Erzähl eine Geschichte, Hannes, die du selber erlebt hast!« Und Hannes, ein junger Bergmann, begann. Bald kam der nächste an die Reihe und so ging es weiter, bis Paule Hennemann dran war. Ihm war schon ganz schummrig im Kopf und seine Zunge wollte ihm kaum gehorchen. Und – hast du nicht gehört? – schon schlüpfte ihn die Geschichte vom Grubenmännchen aus dem Mund. Kaum war er fertig, da blitzte ein schwerer Schmerz durch seinen Kopf und es war, als rieselte kaltes Wasser über seinen Rücken. Er rannte zitternd nach Hause und zog sich die Bettdecke über den Kopf. Aber schlafen konnte er nicht. Er hörte die Stimme des Grubenmännchens: »Aber ich warne dich…« Noch im Morgengrauen ging er mit schwachen Knien zu seiner Grube. Er suchte seine Hacke und als er sie endlich fand, war sie in einem Felsspalt festgeklemmt. Im hölzernen Stiel fand er eine schwarze Schrift: »Versprechen gebrochen, Glück zerbrochen.« Hennemann fiel auf die Knie und wollte nach dem Grubenmännchen rufen. Aber er kannte dessen Namen nicht. Wie der Bergmann auch flehte und bat, das Männchen kam nicht wieder. Und so, wie es gesagt hatte, so hatte das Glück ein Ende und die Armut hielt wieder Einzug in Hennemanns Haus. Oft murmelte er vor sich hin: »Ach, hätt’ ich doch mein verflixtes Maul gehalten!«
Anmerkungen
Kohleflöz = Schicht aus Kohle im Gestein
Den Bergleuten drohten schon immer viele Gefahren bei ihrer Arbeit: Die Gänge konnten über ihnen zusammenbrechen, eine Gasexplosion konnte sie töten, Wasser konnte über die Stollen im Berg einbrechen. Diese Unglücke schrieb man damals einem Berggeist zu der glaubte, kleine Zwerge hätten Macht über das Innere der Erde. Tatsächlich waren es oft klein gewachsene Männer, die im Berg nach Kohle suchten; dann brauchte man die Gänge durch Gestein nicht so groß zu bauen. Diese Bergleute trugen früher wirklich Zipfelmützen bei der Arbeit.
Literaturnachweis
- Renate Schmidt-V., Gustav-Adolf Schmidt, Sagen und Geschichten aus dem Ennepe-Ruhr-Kreis, 2. Aufl. Schwelm 2001, S. 59f.
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