Die Gänsereiter
Aus Sagenhaftes Ruhrgebiet
Was wäre ein Rosenmontag in Sevinghausen und Höntrop ohne das traditionelle Gänsereiten? Der Sage nach führten spanische Soldaten vor fast 400 Jahren diesen seltsamen Brauch in Wattenscheid ein. Doch was hatten spanische Soldaten in Wattenscheid zu suchen?
Zur Beantwortung dieser Frage ist ein kurzer historischer Exkurs notwendig: Nachdem die Kaiser aus der Dynastie der Habsburger, die katholischen Glaubens waren, bis 1543 die nördlichen und südlichen niederländischen Provinzen ererbt hatten, versuchte der Sohn Kaiser Karls V., Philipp II., der außer dem Königreich Spanien auch die Niederlande von seinem Vater erhalten hatte, dort die katholische Lehre als alleiniges Bekenntnis durchzusetzen. Vor allem der flämische (germanische Norden hatte sich, im Gegensatz zu dem wallonischen (romanischen Süden des Landes, den religiösen Lehren des Reformators Calvin sehr aufgeschlossen gezeigt.
Als Philipp II. seine Politik durch eine Militärdiktatur und mit der Hilfe spanischer Truppen massiv durchzusetzen begann, erhoben sich die Niederländer zu einem Freiheitskampf, der erst beim Abschluss des Dreißigjährigen Krieges (1648 mit der Unabhängigkeit des Landes endete. Vorerst spaltete sich das Land jedoch um 1580 in die nördlichen, calvinistisch geprägten Generalstaaten und in die südlichen, katholischen Unionstaaten, die unter Philipps Herrschaft standen. Der rheinisch-westfälische Raum machte seine erste Bekanntschaft mit spanischen und niederländischen Truppen, als sich der Erzbischof von Köln, Graf Gebhard Truchseß von Waldenburg, 1582 öffentlich zum Calvinismus bekannte, nachdem er vorher pikanterweise eine Stiftsdame geheiratet hatte.
Kaiser und Papst holten daraufhin die in den Niederlanden stationierten, katholisch- spanischen Truppen ins Land und ließen Graf Truchseß von Waldenburg vertreiben. Er fand nach jahrelangen blutigen Kämpfen schließlich in den Generalstaaten Zuflucht. Vor allem die Spanier blieben in dem vom Kriegsgeschehen bisher verschonten neutralen westdeutschen Raum, und da sie seit neun Jahren keinen Sold mehr empfangen hatten, hielten sie sich im besetzten Land durch Raubzüge schadlos.
Der Gipfelpunkt dieser leidvollen Jahre wurde 1598/99 erreicht. Ein ca. 24.000 Mann starkes spanisches Heer unter General Mendoza überfiel den rheinisch-westfälischen Raum und zwang die Städte und Ortschaften ihm Behausung und Verpflegung für den Winter zu stellen.
»Grauenhaft hausten die Spanier im Lande, keine Schandtat ließen sie ungetan und verschonten auch die Klöster nicht. Feuersäulen bezeichneten ihren Weg, verwüstete Fluren, entvölkerte Dörfer und Städte ließen sie hinter sich ... Überall herrschte Teuerung und Hungersnot, in ihrem Gefolge zog die Pest einher, die weitere zahlreiche Opfer forderte.« (Hermann Rothert).
Im 30-jährigen Krieg besetzten spanische Reiter von 1623-1629 die Stadt. Während der langen Wintermonate machte sich bei den Söldnern bald Langeweile breit. Sie kamen auf die merkwürdigsten Ideen, um sich die Zeit zu vertreiben; so stahlen sie den Wattenscheider Bauern die Gänse und hingen sie an ein zwischen zwei Bäumen gespanntes Seil. Im schnellen Galopp ritten sie nun auf die lebende Gans zu und versuchten, ihren Kopf mit der Hand abzureißen. Gelang dieses Vorhaben, so brach lauter Jubel unter den Soldaten aus. Den Wattenscheidern gefiel dieser Brauch wohl ebenfalls.
Auch heute noch wird am Rosenmontag dieser traditionelle Brauch von zwei Wattenscheider Gänsereitervereinen, denen von Höntrop und Sevinghausen, alljährlich gepflegt. »Für den Wettkampf stehen zwei Reitbahnen zur Verfügung. Hier treten die Bewerber um die Würde des Gänsereiterkönigs – nach feierlichem Wecken am Morgen mit Hornmusik und fröhlichem Umritt um das Dorf – zum Königsritt an; alle im blauen Leinenkittel, mit schwarzer Kappe und rot-weiß gemustertem Halstuch. Im scharfen Ritt versuchen die Reiter einer toten Gans, die an einem zwischen zwei Bäumen gespannten Seil hängt, mit einem kräftigen Ruck den Kopf abzureißen. Zäh ist ein solcher Gänsehals, besonders dann, wenn mit ein wenig Schmierseife nachgeholfen wird. Wer den Gänsekopf in der Hand hält, gilt als Gänsereiterkönig. Stolz zeigt er die begehrte Trophäe seinem Volk. Er empfängt aus der Hand des Rittmeisters die kunstvoll geschmiedete Kette des Gänsereiterkönigs, schwingt sich auf die große Holzgipsgans des Königswagens und fährt, gefolgt von der Zunft der Gänsereiter, zum Gänseappell und kürt sich seine Königin. Zum Gänsereiten gehören der Königsball, das Würste-Sammeln und – Verzehren, Tanz, Musik und fröhliche Lieder.« Jedes Jahr aufs Neue – am Rosenmontag. (Zitat: Heimatmuseum Helfs-Hof).
Die Reitbahn des Höntroper Gänsereitervereins befindet sich im Südpark (Eingang Elverfeldstr.) Der Sevinghauser Verein reitet zwischen der Wirtschaft »Kümmel Kopp« (Wattenscheider Hellweg 249) und An der Vidume (Hinweis F. W. Bröker).
Gaststätte Kümmel Kopp (WGS 84: 51.456433° 7.131817°)
Literaturnachweis
- BS, 1991, 159-162 (Eigenbericht);
- Neumann, 39-44
Hier finden Sie: Gaststätte Kümmel Kopp (51.456433° Breite, 7.131817° Länge)
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Dieser Text wurde folgendem Buch von Dirk Sondermann entnommen:
Essen: Verlag Pomp, 2004
ISBN 3-89355-248-0.
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