Der wilde Jäger hilft und verlangt Lohn

Aus Sagenhaftes Ruhrgebiet

Wechseln zu: Navigation, Suche
Buch der Stände - Der Jäger

Es war einmal im Ruhrlande bei Mülheim ein Jäger, der hatte sich schwer vergangen; und er wußte nicht aus noch ein. Da ging er in den großen, dunklen Wald, um den wilden Jäger um Hilfe anzurufen. – Der ließ auch nicht lange auf sich warten. Ein fernes Grollen, das zu mächtigen Donnerschlägen anwuchs, kündete sein Erscheinen an. Der Himmel bedeckte sich mit schwarzen Wolken, und ein Sturm tat sich auf, daß die Bäume wie Schilfrohre schwankten und sich fast bis zur Erde neigten. Dazwischen hörte man das wilde Kläffen der Meute, die den wilden Jäger auf allen seinen Wegen begleitet. Und in all dem Tosen stand der junge Jäger stumm und unbeweglich, mit schreckerfüllten Augen. Da erschien der wilde Jäger! Er stand an einer hohen, dunklen Tanne und blickte mit flammenden Augen auf den jungen Jäger, der bei seinem Anblick auf die Knie gesunken war. Seine kalte, klare Stimme übertönte das Tosen um ihn her. »Was rufst du mich?« – »Hilf mir! Hilf! Um Gottes Willen, hilf!« Ein schneidendes Hohnlachen antwortete ihm, daß die Meute wild aufbellte und umhersprang, der Sturm heulte und die Wipfel der Bäume aneinanderschlugen. Doch dann hob der wilde Jäger seine Hand; sogleich ebbte der Sturm ab, und seine zottigen, schwarzen Begleiter legten sich dumpf knurrend ins Moos. Noch einmal schrie der Jäger flehentlich: »Hilf, hilf, um jeden Preis hilf!« Diesmal blieb alles still um ihn her. Die schwarzen Hunde regten sich nicht; nur ihre großen Glutaugen gingen hin und her. Langsam, lauernd kam es von den schmalen eingekniffenen Lippen des wilden Jägers: »Um jeden Preis?«– »Um jeden!«, war die rasche und feste Antwort. »Dir soll geholfen werden!«– »Dank, dank!« – Aufatmend wollte sich der junge Jäger erheben, doch ein donnerndes »Halt!« hielt ihn zurück. Als der Jäger fragend aufblickte, fuhr jener fort: »Du hast ein hübsches, schwarzbraunes Lieb, bring es mir am Dreikönigstag in den dunklen Hohlweg: Das sei mein Lohn!« Dem jungen Jäger war, als schnüre ihm etwas die Kehle zusammen. Er nickte stumm, schwang seine Büchse über die Schulter und ging mit schweren, schleppenden Schritten heim. Hinter ihm erklang noch das höhnische Gelächter des wilden Jägers, das Kläffen der Meute und der Hufschlag seines davoneilenden schwarzen Rappen. Es ging gut. Dem Jäger war geholfen; doch wenn er sein liebes Mädel ansah, dann krampfte sich sein Herz zusammen. Der Dreikönigstag kam immer näher, und dem Jäger wurde immer banger. Am Vorabend aber faßte er einen Entschluß. Er nahm sein schwarzbraunes Mädel an die Hand, schwang die Büchse über die Schulter und ging in den dunklen Wald. Dort erschoß er sein Lieb und sich. Der wilde Jäger aber saust heute noch durch das Land, die kläffende Meute hinter sich, und sucht seinen versprochenen Lohn. Am Dreikönigstag tobt er am schlimmsten; doch dann verschwindet er auch wieder, um im nächsten Jahre seine Suche wieder aufzunehmen. Und so wird er wohl noch alle Jahre durch die Lüfte jagen.

Mülheim an der Ruhr (um 1820)

Anmerkungen

Der Dreikönigstag ist der 6. Januar.

Literaturnachweis

  • Karstens, 13f. (Handschriftlicher Beitrag von Trude Pattberg.)




Weitere Sagen aus Mülheim an der Ruhr.

Dieser Text wurde folgendem Buch von Dirk Sondermann entnommen:

Ruhrsagen. Von Ruhrort bis Ruhrkopf.
Bottrop: Henselowsky Boschmann Verlag, 2005
ISBN 3-922750-60-5.





Der Text ist urheberrechtlich geschützt. Nähere Informationen: siehe Impressum.

Ruhr2010Logo
Redaktion