Der Zug der Nibelungen
Aus Sagenhaftes Ruhrgebiet
Es reicht nicht, daß einige Heimatforscher die Hermannsschlacht von Kalkrise am Teutoburger Wald an zwei verschiedenen Stätten Bochums verlegen wollen. Nun sollen auch noch die Nibelungen in unserer Gegend gewirkt haben. Wir werden nicht gleich das Hagen von Tronje-Denkmal in Worms am Rhein nach (Bochum-) Dahlhausen an die Ruhr verlegen müssen, aber die Helden sollen immerhin auf der »Nibelungenburg« Haus Laer gerastet haben, falls wir drei Dortmunder Heimatforschern Glauben schenken dürfen. Rufen wir uns kurz die wesentlichen Inhalte des Nibelungenliedes ins Gedächtnis zurück: Siegfried, der Drachentöter und Herr des Nibelungenhortes, hilft dem Burgunderkönig Gunther bei der Werbung um Brünhild. Siegfried hat diese mittels einer Tarnkappe für Gunther beim nächtlichen Kampf in ihrem Schlafzimmer bezwungen. Die Braut hält Gunther für ihren Überwinder. Zum Dank bekommt der Held Krimhild, Gunthers Schwester zur Frau. Als die beiden Frauen auf der Treppe des Wormser Domes um die Ehre des Vortritts streiten, wirft Krimhild Brünhild die Wahrheit an den Kopf. Brünhild will Rache und findet in Hagen von Tronje den Vollstrecker ihrer Mordgelüste. Durch List erfährt Hagen von Krimhild die einzige Stelle an Siegfrieds Körper, die das Drachenblut nicht benetzt und damit unverwundbar gemacht hat. Bekanntlich fiel ihm beim Bade im Drachenblut ein Lindenblatt auf die Schulter. Ebendort läßt er von Krimhild ein Kreuz auf des Helden Gewand sticken, angeblich, um Siegfried somit im Kampf besser schützen zu können. Bei einem Jagdausflug ersticht Hagen den an einer Quelle knienden Helden von hinten durch die markierte Stelle und versenkt später den Nibelungenschatz im Rhein (das Hagen-Denkmal in Worms stellt diesen Vorgang dar). Jahre darauf heiratet die Witwe den Hunnenkönig Etzel (Attila) und lädt nach einiger Zeit ihre Verwandten an den Hof (bei Budapest in Ungarn) ein, um blutige Rache zu nehmen. Die Burgunder ziehen ihrem sicheren Untergang entgegen. In »Nibelungentreue« dem Schicksal ergeben, fielen in gewaltigen Kämpfen alle Hunnen und Burgunder, schließlich auch Hagen und Krimhild. Immer wieder streiten sich die Nibelungenliedforscher, wo genau der mehr als tausend Kilometer lange »Nibelungenzug« von Worms nach Esztergom bei Budapest an den Hof Etzels hergeführt haben könnte. Ich selbst bin einige Tagesmärsche mit Freunden auf der sogenannten »Nibelungenstraße« gewandert. Die Nibelungenstraße hat einige Nebenstraßen, da jeder Ort versucht, wenigstens eine sagenhafte Begebenheit bei sich anzusiedeln, um Touristen anzulocken. Dabei schwindeln die Fremdenverkehrsmanager, daß sich die Balken biegen. So stehen mit Grasellenbach, Hiltersklingen und Heppenheim in Hessen allein drei Orte zur Auswahl, an welchen Siegfried erdolcht worden sein soll. Schauen wir uns die Thidreksaga an, wird die Orientierung noch schwieriger. Die Nibelungenstraße müßte gänzlich verlagert werden. Die Saga verlegt nämlich König Etzels Hof von Budapest nach Soest in Westfalen! Natürlich gibt es auch für diese Strecke verschiedene Routen. Zum Beispiel läßt Ritter Schaumburg die Helden von Virmenich über Burg Bakalar, die er an der Dhünn (einem rechten Nebenfluß des Rheins) bei Leverkusen vermutet, durchs Bergische Land über Dortmund nach Soest reiten. Ein Historiker, dessen Arbeit ich (sonst) sehr schätze, machte sich nun die Meinung der angesprochenen drei Dortmunder Heimatforscher zu eigen, Burg Bakalar sei im Bochumer Raum zu finden. Er bietet erstaunlicherweise seit Mai 1998 ab Langenfeld 60 Kilometer lange Fahrradausflüge unter dem Motto an: »Der Westfälische Niflungen Ritt« (Niflungen: Name der Nibelungen in der Thidreksaga). Es heißt in der Tourankündigung: »N.N., Historiker aus Dortmund und Niflungenforscher aus Leidenschaft, wird uns diesmal Hagen von Tronjes mutmaßlichen Weg nach Soest zeigen, der von der Wuppermündung aus über Leichlingen, Solingen, Wuppertal, Velbert bis nach Bochum-Baak, unserem Ziel, und von dort aus weiter führte.« Haus Laer, das der Historiker mit der Nibelungenburg Bakalar gleichzusetzen geneigt ist, wäre sein nächstes Ziel. Mit Baak dürfte der Baaker Berg an der Baaker Straße in Bochum-Sundern gemeint sein. Die oben genannte Burg Bakalar veranlaßte die Heimatforscher zur folgenden Überlegung: In dem Wort Bakalar könnten zwei Ortsnamen enthalten sein: 1. Baak an der Ruhr (hier sollen die Helden im Jahr 462 vorbeigezogen sein und anschließend in der ehemaligen Wasserburg Rauendahl gerastet haben); 2. könnte -lar auf den alten Rittersitz Haus Laer im gleichnamigen Bochumer Stadtteil deuten. Und schon haben wir die alte Nibelungenburg Bakalar als Haus Laer in unserer Heimat geortet. Daß Haus Laer 500 Jahre und Haus Rauendahl mehr als 700 Jahre nach dem legendären Nibelungenzug erbaut wurden, wollen wir höflich übersehen.
Wann wird das Bochumer Fremdenverkehrsamt den Nibelungenweg zu Bochum touristisch erschließen? Wann gibt es den Siegfrieddöner? Ruhruniversität Bochum klingt langweilig »Nibelungenuniversität Bochum« hört sich viel kerniger an! Und die Mannschaft des VfL Bochum zelebriert ihre wöchentliche Götterdämmerung stilecht im noch umzunennenden Krimhild-Fußballstadion! Der historische Hintergrund soll auch beim Nibelungenlied nicht fehlen: Das in mehr als 30 Handschriften überlieferte mittelhochdeutsche Epos wurde von einem unbekannten Dichter um 1200 im Benediktinerkloster Lorsch (?) bei Worms verfaßt und wird als das bedeutendste Werk der höfisch-staufischen Dichtung angesehen. Zwei Sagenreigen wurden verarbeitet: 1. Der Burgunderuntergang knüpft an die historische Vernichtung des germanischen Burgunderreiches um Worms durch die Hunnen unter Attila (Etzel) im Jahre 436 und an den Tod Attilas in seiner Hochzeitsnacht an (Reste des Volkes siedelten später im nach ihnen benannten Burgund im heutigen Frankreich). 2. Die Brynhild-Sigfrid Sage, aus der auch Richard Wagner reichlich Stoff für sein Opernepos »Der Ring des Nibelungen« zog. Die Thidreksaga entstand im 13. Jahrhundert. Erzählt wird die Sage von Dietrich von Bern (dem historischen Ostgoten Kaiser Theoderich den Großen, der 455–526 lebte), einem Helden des Nibelungenliedes. Sie wurde angeblich von niederdeutschen Hansekaufleuten in Bergen/Norwegen erzählt und danach von den Einheimischen ins Altnordische übersetzt. Laer ist schriftlich erstmals um 890 im Abgabenregister der Benediktinerabtei (Essen-) Werden (siehe Sage 31) als Lahari nachgewiesen. Lahari wird meist als Moor oder Sumpfgelände gedeutet. Das wasserumwehrte Haus Laer liegt an der Höfestr. 45. Dieses älteste Profangebäude, also nichtkirchliche Gebäude Bochums, war um 1200 ein zum Lehen vergebener Rittersitz der Grafen von Isenberg. Die Holzfundamente wurden schon um das Jahr 940 angelegt.
Baak wird wohl von back = Schüssel abgeleitet und soll auf die muldenartige Geländeform hindeuten. Haus Rauendahl wurde um 1180 errichtet. In seinem lesenswerten Roman »Siegfried und Krimhild« verlegt der Schriftsteller Jürgen Lodemann gar den Ort des dramatisch geschilderten Kampfes Siegfrieds gegen den Drachen an die Isenburg in Hattingen an der Ruhr (siehe Sagen 48–51). Dortselbst soll Siegfried auch die Schmiedekunst bei Alberich erlernt haben.
Witten (Ennepe-Ruhr-Kreis) Geschichtliches: Der Ort Witten entwickelte sich aus dem Eigengericht, dem Herrschaftsbezirk der Herrn von Witten in der Grafschaft Mark Ihre hervorragende Stellung als Reichsfreiherrn läßt sich wohl auf ihre Kontrolle über den Hellweg zurückführen, der bei Witten an der Ruhrstr. über den Fluß führt.
»Witten war bis zum Untergange des deutschen Reichs eine unmittelbare Reichsherrschaft, deren erste Begründung vielleicht schon in die Römerzeiten fällt.« (Schücking-Freiligrath, 361)
Haus Laer (WGS 84: 51.46385° 7.272417°)
Haus Rauendahl (WGS 84: 51.419867° 7.1819°)
Literaturnachweis
- Vgl. Sondermann, BS, 95–97 (vgl. Heinz Ritter-Schaumburg, Die Nibelungen zogen nordwärts, München Berlin, 2.Aufl. 1981; Der Spiegel, Nr. 40, 1975, 222–225; BSN, 116; Jürgen Lodemann, Siegfried und Krimhild, Stuttgart 2002, 86–92)
Hier finden Sie: Haus Laer (51.46385° Breite, 7.272417° Länge)
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Weitere Sagen aus Bochum.
Dieser Text wurde folgendem Buch von Dirk Sondermann entnommen:
Bottrop: Henselowsky Boschmann Verlag, 2005
ISBN 3-922750-60-5.
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