Der Wundersiepen
Aus Sagenhaftes Ruhrgebiet
Das Gelände zwischen der Hochofenstraße und der Emscher, auf dem sich heute das Hörder Hochofenwerk befindet, ist auf der Landkarte Hördes von 1827 als »Obspring« bezeichnet, hieß aber allgemein im Volksmund »Wunder-« oder »Silbersiepen«. Hier in dem Wiesengrund südlich der Emscher und des Brunnenkamps, der zum Gut Himpendahl gehörte, sprudelte eine Quelle, die auch im strengsten Winter niemals zufror. Das Gut war einst Eigentum des Klosters Clarenberg, und man erzählte sich, daß eine fromme Äbtissin auf dem Steingrund bei der Quelle einen Bildstock hatte errichten lassen, der dort vor 100 Jahren noch stand. An seinem Sockel war eine erneuerte Inschrift angebracht:
- »Maria mit dem holden Kind,
- So lieblich auf den Armen,
- So huldvoll gegen uns gesinnt,
- So gut, so voll Erbarmen.«
Dieses Silbersiepen galt als alter Gesundbrunnen, allerdings mußte man, sollten seine Wunderkräfte wirken, in der heiligen Nacht, in der der Herr geboren war, das Wasser selbst holen.
Nun wohnte einmal in der »Brautkammer« eines halbverfallenen Hauses nahe bei den Rombergschen Steingruben eine Kräuterfrau, von der es hieß, sie könne das Vieh besprechen und »Karten legen«. Zu ihr wollten am Tage vor Weihnachten zwei arme Bergmänner, um sich von ihr die Zukunft weissagen zu lassen. Unterwegs begegnete ihnen der Großknecht vom Gut Himpendahl. Als der von dem Vorhaben der ihm bekannten Bergleute erfuhr, meinte er nachdrücklich und aus tiefer Überzeugung: »Bleibt von der alten Hexe weg, holt euch lieber das Christwasser aus der Wiese hinterm Schallacker, das hilft auch gegen Not und Elend.«
Doch die beiden lachten nur und setzten ihren Weg fort, an der Buschmühle vorbei, zur Wickerschen (Wahrsagerin, D. S.) in ihrer Brautkammer. Der Alten haben sie ihr Gespräch mit dem Großknecht erzählt. Doch wie kreischte da die Frau auf und wie spottete sie über den frommen Volksglauben und beschimpfte sie das »Christwasser« mit häßlichsten Namen ! Sie selbst hätte sich, als sie noch junge Magd auf Himpendahl gewesen sei, auch einmal das Wunderwasser geholt, aber das hätte ihr keineswegs das erhoffte Glück gebracht, sie sei wohl zu gottlos gewesen. Das Benehmen der Alten und ihr Gespött gab den Männern zu denken und, ohne ihre »Kunst« in Anpruch zu nehmen, verließen sie den unheimlichen Ort. Unterwegs wurden sie sich einig, in der Nacht lieber das »Christwasser« zu holen, vielleicht würde ihnen damit eher aus ihrer Not geholfen. Dem einen Aberglauben soeben entronnen, fragten sie sich, ob ihr neues Vorhaben nicht auch solchem Zauber unterliegen würde. -
Von der alten Wellinghofer Kirche begannen die Glocken zur Uchte zu läuten. Stille lag über den Wiesen im Emschertal, beim alten Bildstock rieselte der Quell, der im Mondschein silbrig glänzte. Mit gläubigem Vertrauen schöpften die beiden Bergleute in dieser weihevollen Nacht aus jenem geheimnis- und sagenumwobenen Siepen. Jeder von ihnen trug eine Flasche voll Christwasser heim und jeder von ihnen erlebte am Weihnachtsmorgen dasselbe Wunder: Das Wasser war zu Silber geworden! Ihre Not hatte ein Ende.
Das Siepen aber, das dieses Silber geschenkt hatte, hieß von nun an »Wunder-« oder »Silbersiepen«.
Anmerkungen
Der nördliche Bereich um die Dahlackerstr. 10 gehörte zur Flur »Obspring,» auf dem der Wundersiepen gelegen hat. Gut Himpendahl, um 1900 abgerissen, lag in der Verlängerung vom Himpendahlweg, jenseits der Emscher am Fuße des Hoesch-Schlackenberges. Der Brunnenkamp befand sich, dem Emscherlauf in Fließrichtung folgend, ungefähr 200m davon entfernt. Der Schallacker lag Am Schallacker. Die Buschmühle, heute eine Gaststätte, liegt an der gleichnamigen Straße (siehe Sage 112). Zum Stift Clarenberg siehe Sage 120.
Uchte bezeichnet einen nächtlichen katholischen Gottesdienst. »Brautkammer» bedeutet wohl »kleiner Wohnraum. » Zur alten Wellinghofer Kirche siehe Sage 116.
Obspring (WGS 84: 51.488367° 7.4921°)
Literaturnachweis
- Finkedei, 51-53
Hier finden Sie: Obspring (51.488367° Breite, 7.4921° Länge)
Diesen Ort mit weiteren Geodiensten anzeigen. Weitere Sagen aus Dortmund.
Dieser Text wurde folgendem Buch von Dirk Sondermann entnommen:
Bottrop: Henselowsky Boschmann Verlag, 2006
ISBN 3-922750-66-4.
Der Text ist urheberrechtlich geschützt. Nähere Informationen: siehe Impressum.