Der Traum der Gräfin von Isenberg
Aus Sagenhaftes Ruhrgebiet
Auf dem Isenberge, der zwischen Hattingen und Steele an einer scharfen Biegung des Ruhrstromes gelegen ist, stand in alter Zeit die mächtige Isenburg. Arnold, aus dem Geschlechte der Grafen von Berg, hatte sie um das Jahr 1200 erbauen lassen. Seine Güter erstreckten sich über Ruhr, Lenne und Lippe. Dazu war er der Vogt der Abtei Werden und des Frauenstiftes Essen. So galt er als reich und angesehen. Neun starke Söhne waren ihm erwachsen, und es schien, als könne das Glück seines Hauses niemals untergehen. Und doch war eine, die an dieses Glückes Dauer nimmer glauben konnte. Die alte Gräfin von Isenberg ahnte das Unheil auf schwarzen Schwingen nahen. Oft saß die bleiche stille Frau traumverloren auf der Zinne ihres Schlosses, schaute weit ins Land hinaus und erfreute sich an aller Herrlichkeit, die sich ihren Augen hier erschloss.
Wenn dann aber plötzlich in der Ferne ein Rabe sichtbar wurde und krächzend über ihr durch die Luft dahinzog, erschrak sie und schauderte. Sie gedachte Friedrichs, ihres zweiten Sohnes, um den ihr bangte. Schon ehe er geboren war, hatte sie seinetwegen einen bösen Traum. Sie wähnte sich auf einem großen Platze, auf dem eine ungeheure Menschenmenge versammelt war. Alle schauten entsetzten Auges zu einer hohen Säule empor. An dieser hing zerschunden und zerschlagen ein Leichnam, an dem die Raben gierig fraßen. Es war der Leichnam eines Mörders, und in diesem Mörder erkannte die Gräfin deutlich ihren Sohn. (Vos-Weinand) Als Friedrichs Mutter mit ihm schwanger ging, hatte sie einst einen fürchterlichen Traum, worin ein Rabe ihr den Leib offen hacken wollte. (Rautert) Der Traum der Gräfin erinnert an des Nibelungenliedes 1. Aventiure, Strophe 13 und 14. Hier träumt Krimhild vom Tod ihres zukünftigen Gatten Siegfried. »Im Glanze dieses Lebens träumte Kriemhild, Sie zähmte einen Falken, stark, schön und wild. Vor ihren Augen schlugen ihn zweier Aare Klaun. Nie im Leben meinte sie ein größres Leid zu schaun.«
Sie sagte den Traum der Mutter, Ute, der Königin. Die fand darin für Kriemhild keinen bessern Sinn: »Der Falke, den du zähmtest, das ist ein edler Mann. Den musst du bald verlieren, nimmt Gott sich sein nicht gnädig an.«
Anmerkungen
Aare bezeichnen Adler. Zur Abtei Werden siehe im Anhang unter Punkt II. »Zum historischen Hintergrund der Hattinger Sagen«. »Dieser alte Prachtbau (Isenburg) von einer Fürstenburg … war gewaltig in seinen Verhältnissen, und gipfelte in einen ungeheuren Bergfried – die nunmehr umher liegenden Trümmer desselben gleichen zerrissenen Felsblöcken.« (Das malerische und romantische Westfalen 1872, S. 329)
Isenburg (WGS 84: 51.387667° 7.152067°)
Literaturnachweis
- Vos, Weinand, Nr. 35; Rautert,S.78; de Boor (Hrsg.), Helmut: Das Nibelungenlied, Köln 1998, S.31
Hier finden Sie: Isenburg (51.387667° Breite, 7.152067° Länge)
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Dieser Text wurde folgendem Buch von Dirk Sondermann entnommen:
Essen: Verlag Pomp, 2007
ISBN 978-3893552542.
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