Der Teufel fordert drei Ruhrorter Rheinschiffe

Aus Sagenhaftes Ruhrgebiet

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Es war an einem der nebeligen Tage im Spätherbst, als der Ruhrorter Schiffsbaumeister Gerhard Barten nach dem Feierabend den Meister der Schiffszimmerleute, den Bongartz Lamertz, in dessen Haus, das in der Nähe des Schiffsbauplatzes lag, aufsuchte. Er wollte mit ihm beraten, wie sie die auf der Dwars-Helling liegenden drei großen Rheinschiffe zum vereinbarten Liefertermin fertig stellen könnten. Mit jedem Tag wurde die Gefahr größer, dass die von den beiden Männern beschäftigten 60 Werftarbeiter entlassen werden müssten, weil die Ruhrorter Schmiedemeister mit der Lieferung der Schiffsnägel und der notwendigen Eisenteile stark im Rückstand geblieben waren.

Gerhard Barten schlug seinem Geschäftsfreund vor, als den einzig gangbaren Ausweg aus der bedrohlichen Lage, das Angebot der Duisburger Schmiedemeister anzunehmen, die gewünschten Eisenwaren in allerkürzester Zeit aus der Nachbarstadt zum Schiffsbauplatz in Ruhrort zu bringen. Borgartz Lamertz gab ihm gerne seine Zustimmung, doch machte er ein sehr bedenkliches Gesicht und sagte: »Meister Barten, glaubst du, dass unsere Ruhrorter Schmiedemeister es ohne Widerspruch hinnehmen werden, wenn sie durch ihre Duisburger Handwerkskollegen aus dem Geschäft geworfen werden? Der kluge Mann baut vor. Lasst uns sofort zum Bürgermeister Portmann gehen, um ihm unsere Notlage aufzuzeigen und den Vorschlag zu machen, dieses einzige Mal unseren Bedarf an Nägeln und Eisenteilen bei den Duisburger Schmiedemeistern zu decken.« Gerhard Barten erhob sich gleich und erwiderte: »Er wird bestimmt Verständnis für unseren Wunsch haben, weil seine Erfüllung Ruhrort davor bewahrt, dass sein blühendes Schiffsbaugewerbe in einen schlechten Ruf gerät und 60 brave Ruhrorter Schiffsbauleute ihre Arbeit verlieren.«

Die beiden Besitzer der Ruhrorter Dwars-Helling fanden bei ihrem Stadtoberhaupt Verständnis und die Bereitwilligkeit, dem Magistrat bei seiner nächsten Sitzung die Billigung ihres Vorschlags dringend zu empfehlen. Sein Einfluss erwies sich im Rat der Stadt als dringend notwendig, weil bei ihm bereits eine Beschwerde der Ruhrorter Schmiedemeister Kopleck und Tommes über die beabsichtigte Erteilung von Lieferungsaufträgen an Duisburger Schmiedemeister durch die Werftbesitzer Barten und Lamertz eingelaufen war. Doch kamen alle seine Mitglieder nach einer langen und gründlichen Aussprache zu dem Beschluss, den Einspruch der Ruhrorter Schmiede unberücksichtigt zu lassen, da sie durch die Nachlässigkeit in ihrer Arbeit und durch die Nichteinhaltung der Lieferfristen die Gefahr einer Stilllegung der Ruhrorter Werft verursacht hätten. Es wurde ihnen freigestellt, sich bei der nächsten Ausschreibung eines Auftrages auf Lieferungen von Schiffsnägeln und eisernen Schiffsteilen um den Zuschlag zu bewerben. Doch wurde ihnen, um ihren Arbeitseifer zu erhöhen, die Pflicht auferlegt, nach Erhalt eines Lieferauftrags für ein neu aufgelegtes Schiff der Werft die ersten hundert Pfund Eisenwerk auf Kredit zu liefern und das Entgelt hierfür erst nach seiner Fertigstellung in Empfang zu nehmen.

Wohl oder übel mussten die Ruhrorter Schmiede damit einverstanden sein. Sie gelobten dem Rat der Stadt durch Handschlag, dass sie jederzeit bereit sein würden, dieser Bestimmung nachzukommen. Leider waren zwischen dem Tag der Zusammenkunft und Beratung der Schiffsbaumeister Barten und Lamertz und dem Tag der Ratssitzung so viele Tage vergangen, dass die Arbeiten auf der Werft zum Stillstand kamen, da weder aus Ruhrort das benötigte Eisenmaterial zu erhalten war, noch aus Duisburg geliefert werden durfte. Die Handwerker und Tagelöhner, die bisher ihr gutes Auskommen durch ihre Arbeit auf der Schiffswerft gefunden hatten, saßen nun sorgenvoll mit leeren Taschen untätig zu Hause und wussten nicht von Not zu Brot zu kommen. Mancher von ihnen konnte vor Kummer nicht mehr schlafen. An jedem Morgen in aller Frühe gingen einige von ihnen zum Schiffsbauplatz, um nachzuschauen, ob nicht doch schon Schiffsnägel und Eisenteile angeliefert worden waren. Es war am Martinitag, als einer der Werftarbeiter nach seinem Besuch der Arbeitsstätte im Dunst der Morgennebel aufgeregt zu seinem Haus zurückhastete. Dort angekommen, warf er sich in einen Stuhl, schlug die Hände vor das Gesicht und stöhnte. Erst nach langer Zeit, während der seine Frau beruhigend auf ihn eingesprochen hatte, berichtete er den Seinen, was ihn in Furcht und Schrecken versetzt hatte: »Als ich heute morgen früh zum Schiffsbauplatz wanderte, dachte ich in meinem Sinn: ,Ich besichtige heute alle drei Schiffe, um festzustellen, wie viel Arbeit noch zu tun ist und wie viel Eisenmaterial wir noch benötigen. So ging ich über die ganze Kälberlayen, von dort, wo das Pontefähr aufhört, bis zur Stelle, wo die Kribben endigen. Als die ersten Sonnenstrahlen auf die drei Schiffe fielen, sah ich, wie vom Homberger Ufer große, mächtige Gestalten auf mich zu drängten. Sie zwängten sich zwischen die Rümpfe der Schiffe, verschwanden darin und tauchten plötzlich irgendwo inmitten der Bretter und Planken wieder auf. Mir wurde unheimlich zumute, doch ich sprach zu mir: »Bleibe ruhig, es narren dich nur Nebelschwaden! Kaum aber hatte ich das gedacht, da tauchte zwischen dem ersten und dem zweiten Schiff ein riesiges Kalb auf, das sich im Schweben und Tanzen bald zu einem zwergenhaften Wesen zusammen zog, bald sich zu einem bedrohlichen, riesigen Tier aufblähte. Da wusste ich, dass mich nicht meine Sinne narrten, sondern der leibhaftige Satan auf der Kälberlayen sein Unwesen trieb. Ich eilte von dannen, so schnell ich konnte, um hier in meinem Haus Schutz zu suchen.« 

Es währte nicht lange, da eilte der Bericht des erschreckten Schiffsbauers von Haus zu Haus durch ganz Ruhrort. Auf seinem langen Weg nahm er immer neue, zusätzliche Einzelheiten auf, die angeblich von anderen Werftarbeitern stammen sollten, die ebenfalls in aller Frühe am Schiffsbauplatz gewesen waren. So erfuhren die Ruhrorter, dass der Teufel nicht immer in der Gestalt eines weißen Kalbes erscheine, sondern zuweilen in der eines schwarzen Tieres. Mit seinem großen Maul reiße es die Schiffsnägel aus den Rümpfen und die Beschläge von den Planken, damit die Schiffe nicht rechtzeitig fertig werden sollten. Nicht die Ruhrorter Schmiede, sondern der Leibhaftige trage die Schuld daran, dass die Werftarbeiten zum Stillliegen gekommen seine. So viel Eisenteile wie er fortreiße, könne keine Schmiedegilde nachliefern. Einer der Schiffsbauleute sollte sogar vom Satan den Auftrag erhalten haben, den Ruhrortern zu sagen, dass kein einziges Schiff mehr fertig gestellt werden würde, wenn man nicht ihm die drei auf der Dwars-Helling liegenden Schiffe verkaufen würde. Man wusste sogar die Anzahl der Taler anzugeben, die der Böse geboten hatte und die Stelle, an der der Kaufvertrag unterschrieben niedergelegt werden sollte, und an der man den Kaufpreis nach dem Stapellauf vorfinden würde.

Nun breitete sich große Unruhe in der ganzen Stadt aus. Es war guter Rat teuer. Der ruhige und umsichtige Bürgermeister wollte seine Bürger davon überzeigen, dass zur Beunruhigung kein Anlass bestehe und niemand den Gerüchten glauben sollte. Deshalb beauftragte er die beiden Ruhrorter Nachtwächter, die sich schon oft durch ihren Mut ausgezeichnet hatten, mit zwei ihnen zugeteilten zuverlässigen Bürgern auf ihrem nächtlichen Rundgang stets auch die Kälberlayen zu besuchen. Als sie eines Morgens um 6 Uhr auf den ein Meter langen Hörnern aus Metall die Stunde geblasen hatten, sangen sie ihr Wächterlied:

»Höret ihr Herren und lasst euch sagen,
die Glocke hat sechs geschlagen.
Bewahret das Feuer und auch das Licht,
dass euch und dem Nachbarn kein Schaden geschieht!
Lobet den Herrn!«

Dann machten sie sich auf zum Schiffsbauplatz. Dort angekommen, versteckten sie sich zwischen den Rippen des in der Mitte liegenden Schiffes. Wie es ihnen dort erginge, das erzählten sie später dem Bürgermeister Portmann. Ihr Bericht soll etwa so gelautet haben:

»Als der Morgen graute und wir durch die Rippen des Schiffes nach allen Seiten Ausschau hielten, um uns davon zu überzeigen, dass niemand außer uns auf den Kälberlayen war, sahen wir vom Rhein her ein mächtiges weißes Kalb auf uns zukommen. Es drängte sich durch die engsten Spalten des Schiffsrumpfes und wälzte sich dann über uns hin. Doch wir verspürten nichts weiter als einen feinen Luftzug. Wie betäubt lagen wir auf dem Boden des Schiffes. Da hörten wir eine grobe und tiefe Stimme, die sprach: »Ihr Nachtwächter wollt mein Treiben stören? Das kann ich euch schwören: Ich reiße solange die Nägel heraus, bis ihr gehet von Haus zu Haus und fordert: Verkauft dem Teufel der Schiffe drei! Dann sind die Kälberlayen frei!« Der Bürgermeister Portmann wollte ihren Worten ebenso wenig glauben wie den Gerüchten, die durch die Berichte der Werftarbeiter in Umlauf gesetzt worden waren. Doch die Mitglieder des Magistrats waren unsicher geworden. Sie wollten Klarheit haben. An der Stelle, die in dem Gerücht genannt worden war, ließen sie den Vertrag mit dem Teufel niederlegen. Seit diesem Zeitpunkt will niemand mehr in Ruhrort ein schwarzes oder weißes Kalb auf dem Schiffsbauplatz gesehen haben. Das Teufelsgeld für die drei Schiffe sollen die Ruhrorter niemals erhalten haben, weil sie die drei Schiffe vor ihrem Stapellauf von ihrem Pastor segnen ließen. Die Ruhrorter waren zu der Überzeugung gelangt, dass der Teufel die Schiffe haben wollte, um sie bei guter Gelegenheit an der tiefsten Stelle des Rheins mit Mann und Maus untergehen zu lassen. Die in ihren Sünden verstrickten und vom Tode überraschten Schiffsbrüchigen sollten ihre Seele ihm zu eigen geben müssen. Aus der gut gefüllten Kasse der Ruhrorter Schiffsgilde wurden die Kosten für den Stapellauf und für das Fest der Schiffsweihe aufgebracht.

Die ganze Bürgerschaft zog in festlichem Anzug unter Vorantritt der Junggesellenkompanie mit ihren Fahnen und mit klingendem Spiel durch die Straßen der Stadt. Gemeinsam wurde das Mittagsmahl eingenommen. Unter dem Abfeuern von Kanonen zu Wasser und zu Lande ging es zum Schiffbauplatz. An den Mastbäumen der drei fertig gestellten Schiffe flatterten die Stadtfahnen von Ruhrort. Als der Abend einbrach, wurde vor jedem der drei Schiffe eine Tonne mit Teer angezündet, so dass die Kälberlayen in helles Licht getaucht waren. Es wurde manch gutes Glas Wein auf das Wohl der Schiffshandwerker und der Mitglieder der Schiffergilde getrunken. Der Pastor gab den Schiffen seinen Segen und erklärte sie als bescheidene Werke der Ruhrorter, die jetzt beschützt in Gottes Hand ruhen würden. Nach der Schiffsweihe marschierten die Kompanien der Junggesellen und der Bürger mit Musik zu ihren Sammelplätzen zurück. Die Häuser und die öffentlichen Gebäude waren durch bunte Lampen geschmückt worden. Noch viele Jahre sprach man in Ruhrort von diesem denkwürdigen Tag und von den Erscheinungen des geheimnisvollen Kalbs auf den Kälberlayen, vom Kaufvertrag mit dem Bösen, von der Feier auf dem Schiffsbauplatz und von der Weihe der Schiffe durch den Pastor. In allen Gesprächen aber wurde mit Stolz und Verwunderung verzeichnet, dass von den drei an den Teufel verkauften Schiffen keines auf Grund gelaufen, in einem Sturm beschädigt oder untergegangen war. Gerade diese drei Schiffe hatten durch ihre Haltbarkeit und Dauerhaftigkeit den Ruhm Ruhrorts als Stadt des Schiffsbaus stromauf und stromab getragen, überall dort verkündet, wohin sie fuhren – und das war sehr weit.

In seinen »Wanderungen durch Duisburgs Fluren« aus dem Jahre 1809 schreibt J.H.C. Nonne:

Dort, wo der Damm die Neustadt ringsumwallt,
da schlug Vulkan mit der Zyklopenschar
die Werkstatt auf. Hier wird mit Künstlersinn
wohl manches Schiff gebaut, das auf der Flut
des Rheins hinab nach Hollands Fluren schwimmt.

Auf der Helling konnten die Schiffe quer, also Vorder- und Hinterteil zugleich aufgezogen und abgelassen werden.

Anmerkungen

Unter einer Helling (auch (der) Helgen) versteht man ursprünglich den Platz in der Werft, auf dem ein Schiff gebaut wird, genau genommen die schräg abfallende Fläche, auf der es anschließend beim Stapellauf zu Wasser gelassen wird. Im Gegensatz zum Dock, in dem Schiffe repariert werden, werden auf der Helling meist neue Schiffe gebaut. Mehr unter Wikipedia. 1712 wurde die erste Helling, eine Dwarshelling in Duisburg-Ruhrort gebaut, diese stand quer (=dwars), also paralell zum Gewässer. Zum Ruhrorter Schiffsbaumeister Gerhard; den Meister der Schiffszimmerleute, Bongartz Lamertz und den Bürgermeister Portmann haben wir leider keine Informationen gefunden.

Multimedia

Gelesen von Gisela Schnelle-Parker, Aufnahme und Bearbeitung von Robin Parker.



Literaturnachweis

  • Karl Heck, Hans Homann, Der heilige Brunnen, Duisburger Sagen, Legenden und Erzählungen, Duisburg 1967, S.77-81


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Diese Sage folgt der Themenroute 22 – Mythos Ruhrgebiet der Route der Industriekultur des Regionalverbandes Ruhr.
Der RVR bietet zum Thema »Haniel-Museum, Duisburg« folgende Informationen.


Hier finden Sie: Haniel-Museum (51.451289° Breite, 6.732149° Länge)

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Diese Sage ist in den bisher erschienen Werken von Dirk Sondermann nicht enthalten. Von ihm erschienen die Bücher Ruhrsagen, Emschersagen, Bochumer Sagenbuch, Wattenscheider Sagenbuch und Hattinger Sagenbuch. Weitere Publikationen sind in Vorbereitung. Bitte beachten Sie auch unsere Veranstaltungshinweise.


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