Der Jungferngang und der Jungfernweg

Aus Sagenhaftes Ruhrgebiet

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Eiche
»Haus Dahlhausen ist »ein schöner Rittersitz, eine Viertelstunde vom Kirchspiel Eickel in einer angenehmen Gegend gelegen. « Von Steinen, um 1760

Im Eickeler Lohof, mitten in dem dichten Eichwald zwischen dem Bach gen Norden und dem Bach gen Süden, lag ein tiefer Teich. An dessen Nordufer stand eine besonders mächtige, alte Eiche, die ihre Nahrung durch ihre Wurzeln aus dem Teiche zog. Unter den weit ausladenden Ästen der Eiche hausten drei Schwestern. Jede war bekleidet mit einem langherabwallenden Kleid, und zwar hatte die älteste ein himmelblaues, die zweite ein feuerrotes, die dritte ein rosenfarbenes. Zum Zeitvertreib spielten die Schwestern mit weißen Stäbchen, die sie auf den grünen Moosteppich warfen, aufmerksam betrachteten, aufnahmen und wieder hinwarfen. Und so spielten sie mit diesen Stäbchen, wie kleine Mädchen mit ihren Püppchen spielen und mit diesen sprechen. Außerdem pflegte und fütterte die älteste Schwester einen Wolfshund, die zweite einen Ziegenbock, die dritte eine Katze.

Eines Tages wurden die drei Schwestern aus ihrer Ruhe arg aufgeschreckt. Sie hörten vom Norden und Süden her ein pochendes Geräusch. Mit jedem Tag ward das Geräusch lauter und schien näher zu kommen. Es waren heftige Axtschläge. Wie horchten da die Schwestern auf und wie erschraken Sie! Eines Morgens sahen sie sogar einen Mann und wie er mit seiner Axt gegen ein Eiche schlug! Und am Bach im Norden baute man eine Burg und auch eine im Süden am andern Bach. Die Schwestern verbargen sich bald hier, bald dort im großen Wald, der aber schon sehr gelichtet war. Der Mann mit seiner Axt – o Schreck! – schlug auch gegen die große Eiche am Teich und hieb sie um und dazu noch andere Bäume um das Gewässer. Da wollten die drei Schwestern nicht mehr am kahlen Teich wohnen. Sie beschlossen, siebenmal siebzig Ellen gen Sonnenuntergang zu ziehen und da zwölf Klafter tief in die Erde hinabzusteigen. Das taten sie denn auch. Alls dann eine Burg gerade über ihnen erbaut wurde, ließen sie sich dadurch nicht weiter stören, denn sie waren da unten ja in Sicherheit, kein Mensch konnte sie da belauschen und beunruhigen.

Da die Menschen vom Norden und vom Süden her die Schwestern gestört und geängstigt und zur Aufgabe ihres schönen Wohnplatzes gezwungen hatten, so wollten nun auch sie die Menschen in den Burgen im Norden und im Süden wenigstens benachrichtigen, wenn die Burgmenschen im Norden und im Süden ihren Bau auf immer verlassen müssten.

Die drei Schwestern dingten Erdmännlein, wohl hundert an der Zahl, die einen unterirdischen Gang graben sollten, zuerst nach der Burg im Norden und dann nach der Burg im Süden. Die Männlein begaben sich fleißig an die Arbeit, und schon nach drei Tagen war der unterirdische Gang nach der Nordburg fix und fertig. Darüber erstaunten die Schwestern, denn sie hatten gemeint, die Arbeit würde wohl zehnmal solange dauern. Sie wollten darum den Männlein auch nur einen Teil des ausgemachten Lohnes geben. Darüber wurden die Erdmännlein böse, sie arbeiteten nicht mehr für die Schwestern, und so ward der Gang nach der Südburg nicht gegraben.

Die drei Schwestern gingen nur noch aus in den Nächten des Neumondes und des Vollmondes. Der unterirdische Gang nach der Nordburg wurde in der Neumondnacht durchwandelt. Hatte die rosenrote Schwester mit ihrer miauenden Katze den Erdgang und die Burgräume durchwandelt, so musste die Gräfin oder eine Tochter des Grafen noch vor dem nächsten Neumond sterben. Zeigte sich die feuerrote Schwester mit ihrem meckernden Ziegenbock in der Burg, so bedeutete das den Tod eines Sohnes des Grafen. Erschien aber die himmelblaue Schwester mit ihrem heulenden Wolfshund, so musste vor dem nächsten Neumond der Bauherr selber sterben.

Da kein unterirdische Gang von der Mittelburg nach der Südburg führte, so wandelten die Schwestern mit ihren Tieren querfeldein über Stock und Stein, über Feld und Hain. Und dort in der Südburg riefen sie, ebenso wie in der Nordburg, die Burgleute fürs Grab ab; nur geschah dies in der Vollmondnacht. Niemand konnte alle drei Schwestern sehen, sondern höchstens nur eine, wohl aber konnten alle Leute in der Burg das Heulen des Wolfshundes, das Meckern des Ziegenbockes und das Miauen der Katze hören. Die älteste Schwester konnte nur von jemand gesehen werden, der an einem Mittwoch geboren war. Die zweite Schwester war nur für den sichtbar, der seinen Geburtstag am Donnerstag hatte. Die dritte Schwester konnten nur an einem Freitag Geborene sehen.

Der Weg aber, den bei Vollmondschein die Schwestern von der Mittelburg nach der Südburg nahmen, hieß beim Volk Jungfernweg. Als die älteste Schwester den letzten Burgherrn von der Nordburg abgerufen hatte und später den letzten Burgherrn von der Südburg, ward keine der Schwestern jemals wieder gesehen, wohl aber will man noch lange nachher Heulen eines Wolfshundes, Meckern eines Ziegenbockes und Miauen einer Katze gehört haben.

Die Nordburg ist die Dorneburg, die Südburg ist Haus Dahlhausen, und die Mittelburg ist Haus Bönninghausen. Den Jungfernweg kann man dir heute noch von Haus Bönninghaufen aus zeigen, und auch der Jungferngang soll noch vorhanden sein.

Anmerkungen

Haus Dahlhausen steht in Hordel an der Berthastraße 10. Der Jungfernweg befindet sich in Herne - Eickel, ungefähr 1,2 Kilometer von Haus Dahlhausen entfernt. Haus Bönninghausen, wohl im 14. Jahrhundert erbaut und 1944/45 durch Luftminen zerstört, lag gegenüber der Burgstr. 66 unweit vom Jungfernweg. Die Dorneburg, wohl im 13. Jahrundert erbaut, wurde im Krieg ebenfalls durch Bomben zerstört. Ihr Standort lag ebenfalls in Herne - Eickel auf dem Schulgelände an der Königstraße/Ecke Holsterhauser Straße. An den Teich am Eickeler Lohof erinnert noch heute die Lohofstraße in Herne- Eickel.

Ferner erzählt der Volksmund, daß von Haus Bönninghausen ein unterirdischer Gang zur Dorneburg führte. Elle = 66 cm; Klafter = 1,7 m – 3,0 m.

Haus Dahlhausen (WGS 84: 51.5017° 7.16965°) Dorneburg (WGS 84: 51.5221° 7.180433°)

Jungfernweg, Herne (WGS 84: 51.511847° 7.16639°) Lohofstr., Herne (WGS 84: 51.512836° 7.175526°)

Literaturnachweis

  • Grasreiner, 82-84 (Nach Leiermann, 1936, 168 sind diese Aufzeichnungen «nicht im Volke entstanden. Es sind Erdichtungen der Verfasser.»)


Hier finden Sie: Haus Dahlhausen (51.5017° Breite, 7.16965° Länge)

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Dieser Text wurde folgendem Buch von Dirk Sondermann entnommen:

Emschersagen. Von der Mündung bis zur Quelle.
Bottrop: Henselowsky Boschmann Verlag, 2006
ISBN 3-922750-66-4.




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